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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Behrendt, Walter Curt: Paul Wallot
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0067

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rationellen Schönheit zu verfechten und vom Zweck
und Material sein Gesetz zu empfangen. Gerade
dieser Bauteil ist für die lebendige künstlerische
Entwicklung, die der Architekt während der Aus-
führungszeit durchgemacht hat, charakteristisch.
Im Wettbewerbsentwurf noch war die Kuppel mit
fast gleicher Umrissform als weisses Bleidach ge-
plant, das über einem hohen, an den Seiten offenen
Aufbau sich wölbte. Wenn nun auch diese seit-
lichen Öffnungen als Lichteinfall für das Oberlicht
des Sitzungssaales gedacht waren, so blieb die
Kuppel im ganzen doch der historisch überlieferten
Form angenähert. Erst mit der Gestaltung des
„äusseren Oberlichts", wie Wallot die gläserne
Kuppel nannte, zeigte der Architekt den Mut, die
Erhöhung einer reinen Zweckform zur monu-
talen Kunstform zu wagen. Damit ist er auf dem
Wege, den Schwechtens Fassade des Anhalter Bahn-
hofs bezeichnet, einen bedeutenden Schritt vor-
wärts gegangen. Zwischen jenem Bau und Messeis
Warenhausfront in der Leipzige Strasse bildet
Wallots Reichshauskuppel eine nicht zu über-
sehende Etappe. Sie ist ein Dokument jener neuen
naturalistisch gearteten Baugesinnung geworden,
die sich mit den stets fertigen Lösungen des aka-
demischen Rüstzeugs nicht mehr genug sein lässt,
sondern die neuen Baugedanken mit einem leben-
digen Gefühl für die Bedürfnisse der Zeit selbständig
zu gestalten willens ist. Solches aber sind die ent-
wicklungsgeschichtlich bedeutenden Thaten der
Baukunst, und wir sollten nicht vergessen, dass sie
uns heute nötiger sind denn je, wo Messeis Lebens-
werk von eifrigen und gewissenlosen Nachahmern
bereits wieder als ein allzeit bequemes Schema aus-
genutzt und diskreditiert wird.

Damit aber, so spricht das Gefühl, ist der
künstlerische Gehalt dieses Bauwerks noch im letzten
nicht erschöpft. Es ist darin noch ein Etwas, ein
Zeitloses, das nichts mit antiakademischen oder
doktrinär naturalistischen Tendenzen zu thun hat.
Eine spezifisch tektonische, zur Darstellung der
plastisch räumlichen Form drängende Begabung thut
im Detail sich kund, die den Stoff zu entmateriali-
sieren strebt und ihn auflöst in rhythmisch schwin-
gende, überflüssige, nutzlose Gebilde, die in sich
selbst allein die Rechte ihrer Existenz tragen. Es
lebt in diesen Kartuschen, Wasserspeiern und freien
Endigungen, in diesem quellenden, luftig sich auf-
lösenden Forrnengedränge der kupfernen Kuppel-
laterne ein Überschuss an gestaltender Kraft mit
dem Zwang eines inneren Müssens sich aus. Nicht

elementar und mit gleicher Ursprünghchkeit aus
Eigenem schöpfend, wie etwa bei den Meistern des
Barocks, bei Neumann oder Pöppelmann, auch
nicht mit der gleichen verbrennenden Intensität einer
ungebändigten Leidenschaft wie bei diesen, sondern
maassvoll temperiert und eingedämmt durch die
Fesseln akademischer Erziehung; genährt, angeregt,
getragen und zugleich auch verdorben von gotisch
barocken und rokokohaften Reminiszenzen, wie
sie ähnlich in der wunderlich bizarren Formenwelt
des Schmalzschen Landgerichtsbaues sich wieder-
findet. Der ornamentale Reichtum des Hauses ist
echt, aus überfliessendem Formenwillen geboren,
eine schöpferische Notwendigkeit. Dieses starke,
persönlich begrenzte Monumentalempfinden, das
sich mit Hilfe eines lebendigen Eklektizismus hier
ausspricht, giebt dem deutschen Reichshaus eine
besondere Note und rückt dieses Bauwerk an die
erste Stelle unter den Schöpfungen der neueren
Monumentalarchitcktur. Das neuerwachte archi-
tektonische Empfinden der Zeit hat hier in der
grossen Disposition der Massen, in der Klarheit der
Gesamtverhältnisse, im Maassstab der Einzelheiten,
in der sicher gefühlten Verteilung des Ornaments
und in der fast altmeisterlich anmutenden Beherr-
schung der Werksteintechnik zum erstenmal sicht-
baren Ausdruck gefunden. Um so erstaunlicher
ist es, dass dieses Haus fast ohne unmittelbare Nach-
folge geblieben ist; denn es lässt sich nicht be-
haupten, dass Wallot in Berlin Schule gemacht
hätte. Vielleicht war dazu zuviel ursprünglich
Geniales in seiner Kunst. Vielleicht aber ist mit
der isolierten Stellung, die das Reichstagsgebäude
in der modernen Baukunst überhaupt einnimmt,
auch die Grenze dieses Architekten angedeutet, dem
seine Zeit zum Schicksal geworden ist. Wallot hat,
dank seiner künstlerischen Persönlichkeit, viele
Schüler gehabt, aber er hat doch nicht eigentlich
Schule machen können. Messel hat niemals einen
Schüler gehabt, und trotzdem konnte sich um seine
Wirksamkeit eine Schule bilden. Es zeigt sich auch
hier, dass Messel als Architekt grösser und viel be-
deutender war, denn als Persönlichkeit. Was er
für die Baukunst geleistet hat, war eine über Wallots
Leistung weit hinausgehende That, die Vertiefung
des Eklektizismus zur Tradition. Und wenn es
Messel damit gelingen konnte, ein Stamm zu werden
und Wurzel zu fassen im Boden der Tradition, so
ist Wallot mehr eine Blüte gewesen, eine schone,
farbenprächtige Blüte, aber auch eine entwurzelte
Blüte, geboren, um zu sterben.

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