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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 21.1923

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Heft 3
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Liebermann, Max: August Gaul
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https://doi.org/10.11588/diglit.4655#0086

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Denkmal sind von Gauls Hand.) Mit dem Staats-
preis kommt er nach Rom, wo er sich Tuaillon
anschließt und in Rom wird er — Gaul. In der
Sala degli animali des Vatikans findet er sein
Talent, er entdeckt sich. Nach zweijährigem Aufent-
halt nach Berlin zurückgekehrt, schließt er sich
unserem Kreis in der damaligen Berliner Sezession
an und mit seiner ersten Ausstellung, dem „Ziegen-
relief" und der „Löwin" dringt er siegreich und
mit Windesschnelle bei Künstlern und Publikum
zum Ansehen eines Meisters durch. Er wird nicht
nur Meister, sondern auch — was selten zusammen-
trifft — ein populärer Meister; ohne selbst die
geringsten Konzessionen an den Geschmack des
Publikums zu machen, zwingt er es, die Natur
mit seinen Augen zu sehen. Er überzeugt, weil
er selbst überzeugt war.

Wie bei jedem echten Künstler war in Gaul
Wollen und Können eins, er wollte, was er konnte,
und er konnte, was er wollte. Das Einfachste
und das Schwerste, denn es erfordert zu dem an-
geborenen Talent anerzogenen Charakter. Das
Genie ist ein Geschenk, das die Götter dem Künst-
ler in die Wiege legen, wie er damit wuchert,
macht seine Kunst aus. Gauls eminent plastische
Phantasie wurde im Zaum gehalten von einem
eminenten Kunstverstand. Er wollte kein Über-
mensch sein, sondern ein schlichter Handwerks-
meister, der seine Kunst so gut ausübt, wie er es
vermag, und weil er ein Genie war, wurde —
ihm natürlich unbewußt — aus dem Handwerk
das Kunstwerk.

Gauls Kunst war im Kant'schen Sinne archi-
tektonisch, d. h. auf Prinzipien aufgebaut, aber die
Prinzipien waren nicht von Theorien, eigenen
oder übernommenen, abgeleitet, sondern sie waren
gegründet auf Anschauung, daher neben der
meisterhaften Konstruktion seiner Werke, deren
Originalität. Er hat seine Tiere nicht nur ge-
schaffen, sondern erschaffen, eine Welt, die vor-
her nicht existierte.

Aber: „Gaul war ja nur ein Tierbildner!''.
Dieses „nur" nimmt ihm nicht das Mindeste von
seinem Werte, denn der zufällige und äußerliche
Gegenstand ist nur das Gefäß, in das der Künstler
sein Inneres ergießt. Sein Inneres materialisiert
der Künstler in der Form, sie ist seine Seele.
Und wie die menschliche Seele nicht existiert
ohne den Körper, so ist die künstlerische Seele

nicht von der Form zu trennen. Form ist „Kern
und Schale mit einem Male". Materie ebenso
wie die Form sind geistige Substanzen, wie Körper
und Seele. In der „Kritik der reinen Vernunft"
heißt es: „Materie bedeutet nicht eine von dem
Gegenstande des inneren Sinnes (Seele) so ganz
verschiedene und heterogene Art von Substanz,
sondern nur die Ungleichartigkeit der Erscheinung
von Gegenständen, deren Vorstellungen wir äußere
nennen, in Vergleichung mit denen, die wir zum
inneren Sinne zählen."

Wohl ist der menschliche Körper der würdigste
Gegenstand für die künstlerische Darstellung, aber
nicht der Gegenstand, sondern die Vorstellung
des Gegenstandes — seine Form — macht die
Qualität des Werkes aus. Was Gaul uns zu sagen
hatte, sagt er uns in der Darstellung des Tieres,
und zwar in vorbildlicher Form. Sie ist nicht
klassizistisch, sondern weil sie seine, — d. h.,
weil sie originelle Form — ist, klassisch.

Unserer Akademie ist durch Gauls Hinscheiden
nicht nur eines ihrer hervorragendsten, sondern
auch eines ihrer tätigsten Mitglieder entrissen wor-
den. Dem totkranken Meister, der nicht zur Ge-
nesung sondern um ein milderes Klima zu genießen
nach Meran gereist war, telegraphierte ich seine
Wahl zum Senator, worauf er mir — es war wohl
sein letzter Brief — antwortete, daß er hoffe, mich
bald mit neuen Kräften in den Angelegenheiten
unserer Genossenschaft unterstützen zu können.
Ach! er sollte dieses Haus nicht mehr betreten!
Und wir gedenken in Wehmut, was uns Gaul ge-
wesen. Wie oft er uns durch sein kluges Wort
den richtigen Pfad hat finden lassen. Sein künst-
lerisches Urteil gab seinem schöpferischen Talent
nichts nach. Klar und einfach war seine Rede,
instinktiv immer das Richtige treffend. Sein Ver-
lust trifft die Akademie um so schwerer, je ver-
worrener die Kunstzustände gerade augenblicklich
sind. In den Traditionen einer älteren Generation
aufgewachsen und groß geworden, war er doch
verständnisvoll für die Aspirationen und Sehn-
süchte der Jüngeren; in ihren Bestrebungen glaubte
■er zeugungskräftige Keime für die Zukunft zu
sehen, und es war rührend, wie er bei der Jury
und bei anderen Entscheidungen, in dem er seine
eigenen Leistungen in den Schatten stellte, die
Arbeiten der Jüngeren herausstrich. Und es ist
sein Verdienst mit, daß nach der staatlichen Um-

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