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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 21.1923

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Heft 3
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Bartning, Otto: Religion und Kirchbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4655#0100

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Trauung, Abendmahl) zieht die Feiergemeinde über
die beiderseitigen breiten Stufen in den als „Feier-
kirche" bezeichneten Altarraum und wendet sich
dem Altar und damit wieder der Gebäudemitte zu.
Bei c im Grundriß ist der Standort des amtierenden
Geistlichen am Altar. — So ist hier ein erweiterter,
erhöhter, zu sakralem Ausdruck gesteigerter Altar-
raum gewonnen. Aber er legt sich nicht wie bisher
trennend vor die Gemeinde und entrückt den Altar
dadurch in eine ferne Apsis, sondern der Altar bleibt
Zentrum der Zentralkirche, und auch die Feierkirche
ist folgerichtig zur Mitte des Gebäudes gerichtet.

So sind hier Predigtkirche und Feierkirche
wohl unterschieden, aber nicht zertrennt, sondern
zu einem einhelligen Raum zusammengefaßt, dessen
Mittelpunkt die Kanzel, dessen Mittelpunkt und
Höhepunkt der Altar ist.

Zu beiden Seiten der Feierkirche steht das
geteilte Orgelwerk (nicht hinter kostspieligen Pro-
spekten aus Zinn, sondern aus sichtbaren vier-
kantigen Holzpfeifen aufgebaut); auf den Stufen
im Hintergrund ist der Raum für Sängerchor und
Orchester. Denn unser Oratorien- und Kantaten-
schatz soll nicht weiter zu Kirchenkonzerten ästhe-
tisiert, sondern mit dem Gottesdienst verbunden
und zu Kulthandlungen verdichtet werden. (Die
akustischen Voraussetzungen des Raumes mit seiner
Einheitlichkeit und zugleich seiner schallbrechenden
Gliederung sind denkbar günstig.)

Der Sparsamkeit gemäß ist auf einen Turm
verzichtet und das Geläut in einem Dachvorsprung
untergebracht (Abb. S. 91). Eine reichere Zeit mag
den Turm bauen. Denn der Turm ist ja nicht
nur aus praktischen Gründen nützlich, sondern ist
mit seinem Geläut ein unmittelbarer Ausdruck, eine
fromme Gebärde der Bauenden. Auch das Läuten
der Glocken, deren Seile in der Kirche enden,
könnte von Gemeindegliedern sichtbar ausgeführt
eine Gebärde des gemeinschaftlichen Gebetes
werden. Man unterschätze nicht zu sehr den
Sinn der Gebärden des Kniens und Beugens, des
Hinschreitens und Stufensteigens. In der Gebärde
wird der Leib eins mit der Seele, und daraus quillt
die reine Gebärde des Singens, des Malens, des
Meißeins, des Bauens.

Die Kirche soll alle Tage geöffnet sein. Die zwei
kapellenartigen Sakristeien und die Fensternischen
im Hintergrund der Feierkirche, mit Bildwerk
und mit der ans Lesepult geketteten Bibel, mögen

Anlaß zu Einkehr und Betrachtung geben. Nach-
dem die Kirche nicht mehr nur Gehäuse der Sonn-
tagsversammlung, sondern sakraler Ort der Gemein-
schaft ist, hat der oft gehörte Ruf nach dem Offen-
halten der Kirchen erst seinen rechten Sinn erhalten.
Auch die stille Sprache der bildenden Künste, bisher
neben der Predigt nur geduldet, kommt nun erst zu
ihrer Wirkung in farbigen Fenstern, Malerei der
Wände, Schnitzwerk der Bauglieder. Dem Dieb-
stahl ausgesetzte Schmuckwerte sollen lieber vermie-
den werden, als daß um des Schmuckes willen die
Kirche an sechs Tagen der Woche verschlossen bleibt.

Konstruktion und Sparsamkeit der Stern-
kirche

Der neuen Raumform entspricht eine neue
technische Konstruktion.

Sinngemäß wächst der Bau von den Eingängen
und dem äußeren Umgang her (der die Eingänge
verbindet) zum Scheitel der Kirche über Kanzel
und Altar empor. Das ganze Dachgewölbe wird
getragen von den sich flechtenden und über Kreuz
sich aussteifenden Bogenstellungen, die mit dem
Räume steigen und zugleich die Gänge und Schiffe
bilden. Alle statischen Schubwirkungen sind in den
Erdboden geleitet. So bedarf der Bau keiner kost-
spieligen äußeren Stütze durch schwere Umfassungs-
mauern oder Strebepfeiler.

Der ganze Aufbau ist in Holz konstruiert
(Bohlenrippen, Gitterbögen, doppelte Wandung
mit Schieferbedachung); je nach den Mitteln und
der Größe der Kirche ist er nach denselben ein-
fachen Konstruktionsprinzipien in Eisen oder Eisen-
beton ausführbar.

Liturgische Anordnung, architektonische Raum-
form und technische Konstruktion sind also eins.
In den die Schiffe überspannenden Gitterbögen
ergeben sich die Fenster, die den Raum ohne
Blendung mit gleichmäßigem Licht durchrieseln;
bunt verglast sollen sie den Rhythmus des Raumes
farbig ringsum klingen und nach der Feierkirche
zu anschwellen lassen (Abb. S. 89).

So ist der Bau reich an Gestalt und dabei äußerst
einfach in den Mitteln.

Das liturgische und konstruktive Prinzip der
Sternkirche ist auf jede Größe anwendbar und wird
bei größerer Ausdehnung Sparsamer, da mit wachsen-
dem Umkreis die Zahl der Sitze schnell zunimmt.

Das Modell beruht auf folgenden Ausmessungen:

90
 
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