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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 21.1923

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Gesellschaft, in der nur Langweile und Verdruß zu holen
ist, und die man doch nicht vermeiden kann; — am Ende
gar noch leere Geschäftskrämerei, über die man die kost-
bare Zeit verliert; so daß man verzweifeln müßte, wenn
man sich nicht endlich ergiebt und selbst ein Philister wird.
Das ist das köstliche des Lebens in der Fremde, daß man
um niemand sich zu kümmern braucht, und an jedem vorbei-
geht, der einem nicht gefällt. — Es ist wahr, meine
Stimmung in den letzten Jahren war nicht die rosigste. Ich
hatte beständig zu arbeiten, und doch wollte kein Resultat
sichtbar werden; niemand ermuthigte mich, im Gegenteil,
alles wetteiferte mich zu decouragieren, und doch mußte
ich, um nicht verloren zu gehen, allen Rathschlägen ent-
gegen handeln. Ich habe viel Spannkraft des Willens
brauchen müssen, um jenes Leben so Jahre lang durchzu-
führen, anstatt die Sache über dem Knie abzubrechen und
irgend etwas zu ergreifen, was mich aus jenem fatalen Eng-
paß befreit hätte. Zuletzt habe ich allerdings gesiegt; aber
nach solchen mit Anstrengung verbundenen Siegen bleibt
stets eine Erschöpfung" zurück; und darum war mir diese
große Abspannung und Freiheit in Italien so zur rechten
Zeit gekommen. — Ich wollte sagen, das Gedächtniß jener
Gemüthsstimmung, die mich in jenen dunklen Jahren be-
herrschte, wirkt unwillkürlich bei den Gedanken an die
Rückkehr. Denkt auch der einst Kranke, der nun als frischer
franker Jäger durch Thäler und Höhen streift, mit Sehn-
sucht an das Hospital, der frei gewordene an seine Kerker-
wände zurück? Ich weiß recht gut, daß sich Lebensver-
hältnisse nicht wiederholen, daß es wahrscheinlich ganz
anders werden wird, als ich jetzt ahnen kann. Ruhig bin
ich, da ich weiß, daß ich nie mich durch die Umstände,
oder wohl- oder übelgemeintes Drängen fortziehen lassen
werde, gegen das zu handeln, was meine klare Einsicht ist,
unb was niemand so beurtheilen kann, wie ich selbst. Ich
maße mir nicht an, irgend jemand zu rathen, behalte mir
aber auch vor, so gern ich fremden Rath anhöre, nur mir
selbst zu folgen. Das Wort des Chamfort habe ich immer
sehr wahr gefunden, daß die meisten Menschen Sclaven
sind, weil sie das Wort »Nein« nicht aussprechen können."

Karl Scheffler.

Paul Renner: Typographie als Kunst. — Dies schmale
Buch ist in einer ausgezeichneten Sprache geschrieben, die
in jeder Zeile einen Verfasser erweist, der sich bis zum
Grunde klar ist darüber, was er zu sagen hat. Und er versteht
es, obwohl er in schöner Bescheidung beim gesetzten Thema
bleibt, auf eine ungezwungene Weise die grundsätzlichen
Fragen zu berühren, ohne deren Heranziehen heute auch das
speziellste Thema der Kunst (und nicht nur dieser I) zu be-
trachten sinnlos wäre. — In sieben Kapiteln gliedert Renner
den Stoff. Davon sind die letzten fünf für den Fachmann be-
stimmt: der Drucker, Setzer, Buchkünstler und nicht zuletzt
der Verleger, der ja von allen denen etwas haben soll. Sie
geben in knapper, eindeutiger Formulierung eine Fülle fach-
licher Erfahrung und Einsichten, die nirgends als maßgebliche
Dogmen auftreten sondern als Hinweise und Ratschläge
eines, der selber zum Rechten auf manchen Umwegen ge-
langt ist und sie anderen will ersparen helfen. Durch zwei
instruktive Schrifttafeln, die die Hauptetappen der Schriftent-

wicklung zeigen, findet der Text seine bildmäßige Ergänzung.
Das letzte Kapitel „Typographisches ABC" ist nichts weniger
als ein buchgewerbliches Lexikon in nuce. Sachregister und
Abbildungen charakteristischer Schriften der letzten vier Jahr-
hunderte beschließen das Ganze. Ich kenne kein Werk, das
zugleich so knapp und so komplex dies Thema behandelte;
das so weit dem praktischen Bedürfnis entgegenkommt und
so wenig die theoretische Grundsetzung vermissen läßt. Dieser
sind vornehmlich die beiden Eingangskapitel gewidmet: sie
stellen das Thema des Buches in einen großen Zusammen-
hang und sind lesenswert auch für den Nichtfachmann. Denn
hier greift Renner, wenn freilich auch nur im Vorübergehen,
über sein Thema hinaus und sagt so manches, das heute
nicht oft und nicht nachdrücklich genug kann gesagt werden:
zumal wenn es so straff und deutlich gefaßt ist. So spricht
er von der anschaulichen Welterkenntnis der bildenden Kunst
im Gegensatz zur begrifflichen der exakten Wissenschaft.
Und er meint, daß diese auf Kosten jener übermäßig bei
uns ausgebildet sei. Deshalb sei im künstlerischen Urteil
jeder Buschmann uns überlegen: was ein Blick auf die Gegen-
stände seiner Umgebung beweise. Er betont ein ander Mal,
daß die Kunst stets bilde und nie abbilde, daß es im eigent-
lichen Verstände eine naturalistiche Kunst nicht gäbe: denn
Kunst und Natur gehörten zwei Sphären, die einander nie
berührten. Und er kommt zu dem richtigen Schluß, daß
vom Standpunkt des bildenden Künstlers ein Unterschied
der Qualität zwischen Werken der freien und angewandten
Kunst nicht bestehe: denn beider Aufgabe sei es, gesteigerte
Sichtbarkeit zu schaffen. In Sonderheit weist er darauf hin,
daß das Wort Kunstgewerbe nicht nur sprachlich ein Un-
ding sei, sondern für jeden Menschen einer glücklicheren
Epoche auch begrifflich gewesen wäre. Daß erst nach der
Scheidung der handlichen von der geistigen Arbeit mit der
Wandlung der alten Werkstätte zur arbeitsgeteilten Manu-
faktur und fortschreitend zur maschinenbetriebenen Fabrik
als Protest und Reform jene Zwangsehe des Gewerbes mit
der Kunst konnte erdacht werden. Trotz Gewerbeschau,
Werkbund und blühender Kunstgewerbeschulen sl^ht aber
Renner den Erzeugnissen des heutigen Kunstgewerbes recht
skeptisch gegenüber. Weder ein Marees noch Hildebrand
noch ein Cezanne seien ihm bisher erstanden. Aber er hofft
und glaubt dennoch, daß solche Männer auch dem Kunst-
gewerbe kämen, und daß die alte Einheit des mittelalterlichen
Handwerks zurückgewonnen werde. — Hier trennt sich so
weit als schmerzlich unser Glaube von dem Renners. Marees
und Hildebrand konnten wohl der Kunst ihrer Zeit als Gegen-
satz und Appell die große bildnerische Idee einer früheren
und schöneren Welt entgegenhalten und aus diesem Kontrast
für sich schöpferische Kräfte gewinnnen: sie bleiben dennoch
ein großartiges Zitat. Und Cezanne? Er hat als erster völlig
bewußt die Darstellung jener geheimen Gesetzmäßigkeit an
sich erstrebt, die über alles Gegenständliche hinaus und von
ihm fort der Farbe, der Einzel-, der Bild- und Raumform als
einem künstlerischen Gebilde innewohnt. Und damit hat
er das Problem der Darstellung grundsätzlich verrückt. Er
ist in Wahrheit der große Wendepunkt der bildenden Kunst
geworden, der Inaugurator dessen, was trotz Benin und China,,
trotz Grünewald und Ägypten vordem nicht war und Ex-
pressionismus heißt Denn dieser ist das Sinnbild der end-

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