Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

DOI Heft:
Abteilung II
DOI Artikel:
Behrens, Peter: Über den Zusammenhang des baukünstlerischen Schaffens mit der Technik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0259

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Behrens, Zusammenhang des baukünstlerischen Schaffens mit der Technik 253

daran glauben wollen, daß von nun ab nur mehr die Befriedigung, die durch
die Exaktheit und äußerste Zweckmäßigkeit hervorgerufen wird, an die
Stelle der Werte tritt, die uns seelisch beglücken und erheben können.
Es kann also nicht zugegeben werden, daß die Arbeitsresultate des
Ingenieurs an sich schon Einheiten eines Kunststiles sind.
Eine gewisse Schulrichtung unserer modernen Ästhetik hat zu diesem
Irrtum beigetragen, indem sie die künstlerische Form aus dem Gebrauchs-
zweck und der Technik ableiten möchte. Diese Kunstanschauung geht auf
die Theorie Gottfried Sempers zurück, der den Begriff Stil durch die Forde-
rung definiert, daß das Werk das Resultat erstens des Gebrauchszweckes,
und zweitens des Stoffes, der Werkzeuge und Prozeduren, die bei der Her-
stellung in Anwendung kommen, sei. Die Theorie stammt aus der Mitte des
vorigen Jahrhunderts und ist, wie viele andere Theorien dieser Zeit, als ein
Dogma der materialistischen Metaphysik anzusehen.
Freilich, wenn man sich an die kunstgewerblichen Erzeugnisse unserer
Industrie der letzten Dezennien erinnert, die ausnahmslos technisch schlecht
ausgeführte Maschinenarbeit (Fabrikware, wie es damals tadelnd hieß)
waren, wenn man sich erinnert, wie die schlechte Arbeit und das schlechte
Material durch möglichst reiches Dekor verdeckt wurde, wie es das Prinzip
dieser Industrie war, Handarbeit nachzutäuschen, edles Material durch
unechtes zu imitieren, so begreift man, daß die vorgefundene Sempersche
Anschauung wie eine neue Wahrheit angesehen werden konnte. Aber diese
Zeiten sind nun gottlob vorüber, und unsere Industrien sind heute imstande,
technisch einwandfreie Ware herzustellen, wenn der Geschmackswert auch
heute leider nur in geringen Fällen künstlerischen Ansprüchen genügen
kann. Diesem Mangel ist nun auch damit nicht zu begegnen, daß man dem
Fabrikanten als Rezept vorschreibt, sich nur an die äußerste Zweckform
zu halten. Es erscheint im Gegenteil viel wichtiger, gerade das eigentlich
Künstlerische in seinem Wesen zu begreifen.
Kunst entsteht nur als Intuition starker Individualitäten und ist die freie,
durch materielle Bedingungen unbehinderte Erfüllung psychischen Dranges.
Sie entsteht nicht als Zufälligkeit, sondern als Schöpfung nach dem inten-
siven und bewußten Willen des befreiten menschlichen Geistes. Sie ist
die Erfüllung psychischer, d. h. ins Geistige übersetzte Zwecke, wie sie
sich als solche in der Musik am klarsten offenbart. Oder wie Alois Riegl
dies ausdrückt: „Im Gegenteil zu der Semperschen mechanistischen Auf-
fassung vom Wesen des Kunstwerkes muß eine teleologische treten, indem
im Kunstwerk das Resultat eines bestimmten zweckbewußten Kunstwollens
erblickt wird, das sich im Kampf mit Gebrauchszweck, Rohstoff und Technik
durchsetzt.“ Diesen drei letzteren Faktoren kommt somit nicht mehr jene
positiv schöpferische Rolle zu, die ihnen die sogenannte Sempersche Theorie
zugedacht hatte, sondern vielmehr eine hemmende, negative: „sie bilden
gleichsam die Reibungskoeffizienten innerhalb des Gesamtproduktes.“
Also die Technik ist beim Prozeß der künstlerischen Form nicht ein
schöpferischer Faktor, sondern als ein Teil eines großen Kräftekomplexes
nur ein bestimmender, als dieser freilich von großer Wichtigkeit.
 
Annotationen