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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Behrens, Peter: Über den Zusammenhang des baukünstlerischen Schaffens mit der Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0260

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254

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Es soll anerkannt werden, daß sowohl die neue Konstruktionsart, wie
das neue Material, das Eisen, auch in künstlerischer Beziehung wichtige
Faktoren sind. Als diese sollen sie auch voll gewertet werden, aber aus
ihnen allein kann nicht eine neue Schönheit entwickelt werden. Wie es
physikalische Gesetze gibt, so gibt es auch eine Gesetzmäßigkeit in der
Kunst. Und diese, die sich seit Anfang aller menschlichen Kultur als fort-
laufende Tradition gültig erhalten hat, kann auch ihr Recht für unsere Zeit
nicht verlieren.
Gewiß, es sind große und bedeutende Werte, die die moderne Technik
uns zugeführt hat, und weil sie die höchsten Leistungen unserer Zeit dar-
stellen, soll auch der Arbeitsweg des Ingenieurs, der so siegreich begangen
worden ist, nicht abgelenkt und die Forschungsmethode nicht berührt
werden, aber es ist für uns heute ein Unterschied zwischen der theoretischen
Erfindungstätigkeit auf der Grundlage mathematisch gerichteten Denkens
und der praktischen Produktion, die die Aufgabe hat, das vorhandene
abstrakte Wissen durch plastisches Schaffen in vielgestaltete Sinneswerte
umzuwandeln. Es erscheint wichtig, in der technischen Disziplin diese
beiden Tätigkeitsformen voneinander zu unterscheiden, dann wird zugebilligt
werden können, daß überall da, wo es sich nicht um die Erfüllung ganz neuer
Bedingungen handelt, unter den vielfachen erprobten Konstruktionsmöglich-
keiten und zulässigen Materialien, d i e Formen zur Anwendung kommen,
die einen ästhetischen Eindruck begünstigen. Damit würde dann ein Schritt
nach der Seite der Geschmacksäußerung getan werden, allerdings noch
nicht die ästhetische Produktion aufgenommen sein, denn das Schaffen
künstlerischer Formen, seien es einfache oder solche in komplizierter An-
ordnung, ist keine Tätigkeit, die ohne weiteres mit etwas gutem Willen und
Geschmack gelingt, sondern sie ist auch auf dem Gebiet der Technik ein
Teil von der höchsten menschlichen Lebensäußerung, der Kunst.
Kunst ist etwas anderes als Geschmack. Kunst ist das Neuergebnis
schöpferischer Kraft. Geschmack ist durch gute Gewöhnung erlernte sichere
Wahl aus vorhandenen Formen. Ein jeder kann und sollte Geschmack
erlernen, wie in früheren geschlossenen Stilepochen Geschmack tatsächlich
Allgemeingut war, und dadurch die untergeordnetsten Gegenstände an der
Formschönheit ihrer größeren Vorbilder teilnahmen. Wenn auf jedem
Gebiet das Dilettantieren allem ernsten Wollen und Können feindlich ent-
gegensteht, so ist es in der Kunst dann von um so größerem verderblichen
Einfluß, wenn sie sich anschickt, sich der Kraft zuzugesellen, die unserer
Zeit das Gepräge gibt.
Es ist eine Frage von größter Wichtigkeit, von Bedeutung für die
Geschichte menschlicher Kultur, ob und wann es gelingen wird, die großen
technischen Errungenschaften unserer Zeit selbst zum Ausdruck einer reifen
hohen Kunst werden zu lassen. Das heißt mit anderen Worten: ob unsere
natürlichen Lebensäußerungen durch Einheitlichkeit einen Stil bedeuten
werden.
Es ist öfter zu hören gewesen, wir gingen einem Eisenstil entgegen.
Wie schon anfangs erwähnt wurde, entsteht kein Stil aus der Konstruktion
 
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