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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Cornelius, Hans: Zur Ansichtsforderung in Architektur und Plastik: (Auszug)
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0275

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Cornelius, Zur Ansichtsforderung· in Architektur und Plastik, Diskussion 269

Herr Ho eher: Eine Kritik der Corneliusschen Ausführungen stellt eine
Auseinandersetzung mit der gesamten „Hildebrandschen Raum«
ä s t h e t i k“ dar. Deren großer, praktischer wie theoretischer Erfolg beruht auf
ihrer Bedeutung als Reaktion gegen die Unkultur eines künst-
lerisch verwilderten Naturalismus. Dadurch aber, daß sich diese
Lehre als normative Ästhetik der bildenden Künste im
allgemeinen aufspielte, ist sie weit über das ihr gesteckte Ziel hinaus-
geschossen und hat ihre prinzipielle und empirische Unzulänglichkeit für die
wissenschaftliche Erkenntnis und das künstlerische Gefühl bewiesen.
Die prinzipielle Behauptung, „bildende Kunst sei Gestaltung für das Auge
oder für die Bedürfnisse des Auges“, ist in dieser unterschiedslosen Allgemeinheit
unrichtig. Denn nicht jedes Sehen ist zugleich ein ästhetisches Sehen.
Das praktische Sehen stellt sich wesentlich als ein Rekognoszieren
quantitativ bestimmter Merkmale dar, während die ästhetische
Apperzeption ein weit intensiveres „Sicheinfühlen“ in die Eigenart des
betrachteten Gegenstandes bedeutet, dessen ästhetische Eigenschaften aus dem
Quantitativen eines bloß räumlichen Daseins in die qualitative Sphäre unseres
eigenen, intensiven Bewußtseinslebens überführt werden.
Als kunsttheoretisches Resultat dieser Vermengung erscheint die Grund-
forderung der Hildebrandschen Raumästhetik: „die räumliche Klarheit“, obwohl
alle Raumkausalität ästhetisch vollkommen indifferent ist, da die interobjektiven
Relationen nur von empirisch - praktischer Bedeutung sind. Hildebrands
Axiom entspringt der erkenntnistheoretisch naiven Meinung, das räumliche
Realobjekt gehe als solches in unsern Bewußtseinsinhalt ein, während es
tatsächlich nur die absolut unräumliche Stimmungsimpression
ist (um den von Broder Christiansen geprägten Terminus zu gebrauchen1),
welche unser Gefühl als ein ihm Verwandtes aufzunehmen vermag.
Die „Raumklarheit“ soll, nach Hildebrand, Grundbedingung der „Anschaulich-
keit“ sein, während doch in Wahrheit die Anschaulichkeit im Kunstwerk nicht die
Klarheit des absoluten Raums bedeutet, sondern die klare Akzentuierung der
jeweiligen, als solcher sehr variablen Dominante.
Hieraus folgt der zweite Grundirrtum der Hildebrandschen Raumästhetik:
auf Grund der konsequenten Vermengung einer falschen Synthese des
„ästhetischen Objekts“ einerseits und einer voreiligen Wertung desselben anderer-
seits werden nämlich alle die Kunstwerke, in denen die „Raumklarheit“ dominiert,
als „wertvoller“ bezeichnet wie alle die übrigen, in denen der Raum als solcher keine
Rolle spielt, — obwohl Wert oder Unwert im Kunstwerk niemals von irgend einer
in der ästhetischen Synthesis wirksamen Dominante abhängt, sondern allein
von jener niemals generell zu bestimmenden Vertiefung, welche die magische
Brücke zwischen dem „ästhetischen Objekt“ und der „autonomen Persönlichkeit“,
dem immanenten Kern der Subjektivität und Ursitz aller Werturteile, schlägt.
Eine wertende Gegenüberstellung, in der die raumklaren Kunstwerke die
Gegenbeispiele, die raumunklaren — wie z. B. impressionistische — Kunstwerke
die Beispiele darstellen, wird sich darum mit Leichtigkeit ebenfalls bewerk-
stelligen lassen.
Ein zweiter Grundfehler der Raumästhetik ist die verkehrte Synthese
ihr inäquater Kunstwerke: stillschweigend setzt sie bei allen Werken der

) Philosophie der Kunst. Hanau 1909. II. Das ästhetische Objekt. S. 80 ff.
 
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