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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Allesch, Gustav Johannes von: Über die Natur des Dramas
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0382

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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Ausdruck wird. Nicht die Masse der empirischen Zuschauer also kommt in Frage,
sondern die zur Einheit zusammengeschlossene Schau der Menge. Diese
Korrelation also ist die Methode der dramatischen Form. Sie erzeugt
die „innere Form“ des Dramas, wie wir sie mit Goethe nennen wollen. Sie muß
also auch das Material der Begebenheiten zu einem neuen Inhalt gemäß ihrer
Gesetzlichkeit umformen. Das hier weiter zu verfolgen aber führte zu weit.
Herr Reicke: Dramatische Wirkung stützt sich auf ein Zusammenwirken
von Rhetorik und Plastik. Das Wesentliche der dramatischen Wirkung besteht
in dem, was zwischen Bühne und Zuschauer spielt.
Herr Koffka: Die Diskussion ist bisher über vage Allgemeinheiten nicht
hinausgekommen. Im Gegensatz dazu habe ich ein sehr konkretes Problem zur
Diskussion zu stellen, das zwar nur einen Nebenpunkt betrifft und das ich noch
mit dem Vortragenden privatim besprochen hätte. Unter den vorliegenden
Umständen aber will ich hier sprechen, um zu zeigen, daß der Vortrag durchaus
nicht etwa graue Theorie brachte, sondern daß die Ausführungen des Redners
zu ganz konkreten Einzelfragen führen. Zur Sache: Herr von Allesch
hat für die Abgrenzung des Dramas von den anderen Formen der Literatur das
Zeitmoment als unwesentlich erachtet. Mir liegt eine andere Auffassung zurzeit
näher, eine Auffassung, die sich aber mit der allgemeinen Theorie des Redners
sehr wohl verträgt, ja durch sie erst wirklich psychologisch begründet werden
kann. Indem das Drama eine Konfiguration von Sachverhalten ist, eine aus, in
und über Sachverhalten aufgebaute Gestalt, ist es eben doch eine Zeitgestalt, und
es liegt zum mindesten nahe, anzunehmen, daß auch als solche das Drama
irgendwie ausgezeichnet, vom lyrischen Gebiet, vom Epos unterschieden ist. Für
seine Anschauung berief sich der Redner auf den Erinnerungsniederschlag, den
ein Drama hinterläßt: gewiß, König Lear mag in der Erinnerung völlig zeitlos
erscheinen, ausgedrückt durch die Formel: Eltern, Vaterliebe und Kindesundank.
Aber es ist doch eben nicht dies schlechthin, sondern so wie wir es im Lear erlebt
haben, und ich meine nun, daß in dieser zeitlosen Erinnerung nuancierend auch
das zeitliche Gestaltmoment vorhanden sein kann. Qualitativ waren die ver-
schiedenen Zeiterlebnisse wohl am besten als mehr oder weniger große Spannung
zu charakterisieren. Dies meine Frage; zum Schluß nun noch eine allgemeine
Bemerkung. Einer der Vorredner sagte, ihm hätte der Vortrag nach der Lampe
gerochen, mir hat er nach dem psychologischen Laboratorium geschmeckt.
Herr von Allesch: Der Kongreß war einberufen worden, wie es aus-
drücklich in den Einladungsschreiben hieß, um eine Verständigung zwischen den
verschiedenen Zweigen der Ästhetik herbeizuführen. Diese Diskussion aber spricht
diesem Grundsatz völlig Hohn. Mit Ausnahme von Herrn Koffka, dem ich für
seine Stellungnahme meinen Dank aussprechen möchte, hat keiner der Diskussions-
redner auch nur zugehört, was ich gesagt habe, geschweige denn mit seiner
Bemerkung zur Sache geredet. Nur Herrn Reicke gegenüber will ich
betonen, daß gerade dieses Neue, was in Wechselwirkung zwischen Bühne und
Zuschauer entsteht, durch die von mir vertretene Anschauung am ehesten erfaßt
wird. Herrn Koffkas Frage beantworte ich dahin, daß zwar natürlich Zeitmomente
nicht aus dem Drama ausgeschaltet sind, daß sie aber nur akzident und weit
davon entfernt sind, das Dramatische zu konstituieren; sie gehen vielmehr in die
Sachverhalte ein und haben nur durch sie Anteil an der Gestalt des Dramas.
 
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