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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0386

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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Wirklichkeit und Raumweite und von deutlichem Gespieltwerden auf einer
Bühne, von halbem Sein und ganzem Bedeuten.
Ich will versuchen, den Keimpunkt des Dramas an zwei Beispielen
darzustellen, die ich der Abrede gemäß aus meinen Arbeiten nehmen muß.
In meinem neuesten Drama, der „Gefährlichen Liebe“, zu dem ich den Stoff
in den „Liaisons dangereuses“ des Choderlos de Laclos fand, hat mich
nicht das glänzende Milieu des Ancien regime zur Gestaltung gereizt, das
freilich eine willkommene Beigabe war, sondern allein dies: das Band
zwischen einem Mann und einer Frau — Vicomte von Valmont und
Marquise von Merteuil — wird durch die Ebenbürtigkeit der beiden an
Kraft und Vitalität fester und fester, während gleichzeitig nach dem Ver-
fliegen des ersten Gefühlsrausches ihre Gegensätze und feindlichen
Momente immer stärker hervortreten. Halb in der Zeitsituation und ihrer
unabhängigen Lebenslage, die sie nicht voneinander weg und in andere
Interessen zwingt, das Spiel der Leidenschaft vielmehr geradezu heraus-
lockt, halb in der besonderen Artung dieser Charaktere, in denen entgegen-
gesetzte Gefühle sich nicht zu trübem Grau mischen, sondern positiv wie
negativ neben- und durcheinander bestehen, liegt ein Schicksal, das hier
in den Personen selbst festgenistet ist, in den Forderungen, Verlockungen,
Reizen und Feindschaften des Geschlechts, der Physis, welche nun die
Charaktere in den Konflikt reißt. Die Charaktere wurden mir in dieser
gefährlichen Verknotung sofort als Drama lebendig, und gleichzeitig fühlte
ich in ihrem Geschick eine Erschütterung, wie sie nur da eintritt, wo ein,
niemandem ganz erspartes, Erleben sich durch die Fügung der Umstände
zu sehr hohem deutlichem Ausdruck steigern läßt. Wohl sicher ist das,
was dem Dramatiker selbst nur im Stoff zu liegen scheint, zum Teil schon
die Formung, die sein dramatisch eingestelltes Erleben der Dinge in
begegnende Anregungen hineinsieht. Es ist dies hier eine Veränderung,
die mir aus „Gefährlichen Liebschaften“ eine „Gefährliche Liebe“ werden
ließ. — Deutlicher wird das bei der Anregung zu meinen „Vertauschten
Seelen“. Die alte indische Fabel von dem Zauberspruch, mit dessen Hilfe
man seine Seele in jeden beliebigen toten Leib senden kann, während der
eigene Leib so lange tot ist, ist der Stoff, ganz allgemein genommen. In
der Fadlallahsage bedient sich ein Derwisch des Zaubers, um in den Leib
des Königs zu kommen, während dessen Seele arglos, vom Derwisch
verführt, in einen Hirsch gefahren ist, nun, wie sie zurückkehren will, ihren
eigenen Körper besetzt findet und im Tiere bleiben muß. Dieser Stoff
wurde für mich erst in dem Augenblick zur dramatischen Konzeption, als
ich plötzlich, in Gedanken mit dem Stoff spielend, die Seelen des Königs
und des Derwischs mit vertauschten Körpern einander gegenüberstehen
sah. Erst hier ist der Keimpunkt der Komödie. Dieser — wie noch einige
ähnliche Fälle — scheinen mir auszusprechen, daß die erste Anregung
schon ein Schaffensakt des Dichters, ein Hineindenken seines persönlichen
Formwillens in einen dazu geeigneten Umkreis von Motiven ist.
Während das erste Keimen eines dramatischen Werkes noch ein
verhältnismäßig einfacher Vorgang ist, verwickelt sich die weitere Arbeit
 
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