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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III und IV
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Sievers, Eduard: Demonstrationen zur Lehre von den klanglichen Konstanten in Rede und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0463

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Sievers, Demonstrationen zur Lehre v. d. klangl. Konstanten in Rede u. Musik 457

von denjenigen Seiten der Klangphänomene abzuziehen, die er bisher an
ihnen zu beobachten gewöhnt war, und sie dafür auf andere Seiten zu
konzentrieren, für die er in seinem gewohnten System der Klangbeurteilung
noch keinen festen Platz hat und die er deshalb auch schwerer erfaßt als
das ihm von jeher Geläufige.
Zu diesen Schwierigkeiten allgemeinmenschlicher Art gesellen sich
aber weiterhin auch noch solche von mehr individuellem Charakter. Von
diesen möchte ich namentlich eine hervorheben. Die Fragen, die hier
vorzulegen sind, appellieren in erster Linie an den K 1 a n g s i η n der
Beobachter, und dieser spezifische Klangsinn ist ja bei den verschiedenen
Menschen bekanntlich in sehr verschiedenem Grade vorhanden oder aus-
gebildet und namentlich in keiner Weise an das gebunden, was man
musikalische Begabung zu nennen pflegt. Im Gegenteil, man
wird oft finden, daß gerade musikalisch hochbegabte Naturen beim An-
hören von Klangwerken durch ganz andere Seiten des inneren Erlebnisses
derart in Anspruch genommen sind, daß sich gerade der Teil des Klang-
lichen, um den es sich hier handelt, leicht ihrer Kontrolle entzieht. Jeden-
falls aber wird erfahrungsgemäß ein und dieselbe Klang differenz (und
mit solchen müssen wir vorwiegend arbeiten) von verschiedenen Beob-
achtern oft ganz verschieden beurteilt, wird nach ihrer persönlichen Ver-
anlagung auch ganz verschieden beurteilt werden müssen. Dem einen mag
sie etwa als „grob sinnfällig“ erscheinen, während ein anderer sie vielleicht
als „eben noch wahrnehmbar“ bezeichnet und ein dritter mit gleicher
Bestimmtheit das Bestehen eines Unterschiedes überhaupt leugnet.
Unter diesen Umständen scheint es nur einen Weg zum Weiterkommen
zu geben, nämlich den, vorläufig einmal von allem Theoretisieren
für und wider abzusehen und dafür so lange das Experiment eintreten
zu lassen, bis Umfang und Sicherung des gewonnenen Tat-
sachen materials auch einer eingehenden theoretischen Diskussion
einigen Erfolg verbürgt. So möchte ich denn auch Ihnen heute im wesent-
lichen nur eine Reihe von Klangphänomenen zur Einzelbeurteilung vor-
legen, in der Hoffnung, daß sich dabei unter uns auch solche Beurteiler
finden werden, die, unabhängig von einander, und doch mit
hinlänglicher Bestimmtheit, g 1 e i c h g e r i c h t e t e posi-
tive Urteile abzugeben vermögen und dadurch ihre, vermutlich gar
in der Mehrzahl vorhandenen, mehr negativ gerichteten Mithörer veran-
lassen können, ihrerseits an Stelle des Urteils „nicht vorhanden“
einstweilen einmal das mildere Urteil „noch nicht selbst be-
obachtet“ treten zu lassen.
Bei diesen Experimenten, die natürlich nur als veranschau-
lichende Proben1) angesehen werden wollen, muß ich nun Sie

*) Auf diesen Passus muß ich besonderes Gewicht legen, weil hernach bei
der Debatte (insbesondere seitens Herrn Stumpfs, vergl. unten Seite 468,
Anmerkung I) sich mehrfach die Anschauung geltend zu machen schien, als hätte
ich das, was nur zeigen sollte, in welcher Weise ich zu arbeiten pflege, für
 
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