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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Ausgrabungen — Ausstellungen

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darüber eine gleichgültige männliche Aktfigur, nur in »großer
Form« behandelt — mißverstandener Maillol. Das Preis-
gericht hat ohne Zweifel die einzig richtige Wahl getroffen,
indem es Hahn auszeichnete.

AUSGRABUNGEN
Fiesole. Die im vorigen Jahre unterbrochenen Aus-
grabungen sind im Frühjahr wieder aufgenommen worden
und deren Ergebnisse sind wirklich über alles Hoffen
fruchtbar gewesen. Das Wichtigste dabei ist die Auf-
findung der Uberreste eines Tempels, welche uns wohl
erleuchten werden über die Beschaffenheit dieser Bauten
bei den Etruskern, denn Vitruvs Beschreibung der Tempel,
welche dieses für uns noch so geheimnisvolle Volk
errichtete, mit quadratischem Grundriß, drei Cellae-
Säulen, Wände und Dach aus Holz und keinem Säulen-
umgang, hatten wir bis jetzt noch nicht kontrollieren
können. Die ersten Ergebnisse der Ausgrabungen scheinen
allerdings von dieser Beschreibung abzuweichen; denn
man hat nämlich schon eine Treppe gefunden, welche
zu einem Plateau emporführt, welches aus festgefügten
Platten besteht und worauf sich der Stylobat des Tempels
erhebt. Die Lage der Treppe läßt uns annehmen, daß
die Front des Baues entsprechend orientiert war und es
erscheint auch als wahrscheinlich, daß eine Säulenreihe
das ganze Gebäude umringte. Die weiteren Ausgrabungen
werden wohl die interessante Frage lösen.

AUSSTELLUNGEN
X Berliner Ausstellungen. Die »tec Sezession«,
die im vergangenen Frühjahr aus der Opposition der
jüngeren Künstler gegen die alteingesessenen Führer der
älteren Sezession entstand, tritt nun in der Gemäldegalerie
von Maximilian Macht zum zweitenmal auf den Plan. Wie
ihre »große Schwester« läßt auch sie auf die sommerliche
Gemälde- und Skulpturenschau eine Herbstrevue von
Werken der »zeichnenden Künste« folgen. Sie wirkt noch
wilder und ungebärdiger als das erste Pronunciamiento
dieserjüngsten im Frühjahr; aber man kann leider nicht sagen,
daß diesmal ihren exzentrischen und radikalen Allüren auch
eine stärkere Dosis Hoffnung erweckender Begabung zur
Seite stände. In dieser wirren Sammlung von Zeichnungen,
Aquarellen, Pastellen, Holzschnitten, Lithographien und
Radierungen ist mehr forcierte Kühnheit als ernstes Können,
mehr snobistisch-kokettes Spielen mit künstlerischen Mitteln
als fester Wille, mehr herausfordernder Lärm als wirkliche
Kraft, und wenn die Gruppe auf diesem Wege blind
weitertappt, so wird das Ende ein großes Fiasko und ein
ungeheurer Katzenjammer sein. Nicht darum handelt es
sich, daß hier koloristische oder lineare Eindrücke der
Wirklichkeit und der Phantasie mit allzu souveräner Toll-
heit auf ein Minimum von Farbenflecken oder Strichen
reduziert sind, daß, um eine bestimmte Empfindung oder
Stimmung auszulösen, in ausgiebigem Maße bewußte Ab-
weichungen von der Natur riskiert werden. Vor solchen
Dingen schrecke ich nicht zurück, und ich hätte gar nichts
dagegen, wenn die jüngeren Künstler auch einige Schritte
weiter gehen würden. Aber mir fehlt das Überzeugende
in diesen Experimenten, oder sagen wir lieber: das Über-
rumpelnde, Hinreißende. Ich sehe darin keine wirkliche
Leidenschaft, sondern ein bewußtes und berechnetes Unter-
streichen der »Genialischen«. Die Herren zäumen das
Pferd vom Schwänze her. Statt daß sie sich erst mit allen
Künsten des ehrlichen Handwerks vertraut machen und
dann, sicher geworden, darüber hinausstreben — so, daß
sie den festen Boden des technischen Könnens auch bei
den gewagtesten Sprüngen noch unter sich fühlen —, be-
ginnen sie gleich mit den Sprüngen und lassen Handwerk

Handwerk sein. Wenn Cezanne oder Matisse oder Münch,
die Götter der anrückenden Generation, auf Eroberungen
ins Land der Zukunft auszogen, so hatten sie, namentlich
Cezanne und Matisse, eine tüchtige und solide Schulung
hinter sich, deren Disziplin sie wohl im Eifer des Gefechts
auch einmal ein Schnippchen schlagen konnten, weil sie
wußten, daß ihnen letzten Endes der Rückzug immer offen
blieb. Diese jüngsten Berliner aber laufen in den Kampf,
ohne erst den Gebrauch des Schwertes zu erlernen. Wenn
sie diese Methode beibehalten, werden sie geschlagen
werden, und das wäre bedauerlich; denn es steckt doch
ein Quantum Talentkraft in ihnen, das einer sorg-
samen Erziehung wohl wert wäre. Der einzige in ihrem
Kreise, der die Wohltaten solcher Zucht genossen hat: Emil
Nolde, fällt insofern aus dem Rahmen, als er bei weitem
der Älteste ist. Nolde, der heute 43 Jahre zählt, hat ja
bis vor etwa fünf Jahren ziemlich harmlose Dinge gemalt.
Dann erst kam der Furor über ihn, um ihn nun gleich
bis an die Grenze des Möglichen zu schleudern. Aber
man spürt es immer noch, wenn er Szenen beim Huf-
schmied mit breiten, schweren Farbenflächen malt oder
Kinderköpfe mit ein paar bunten Konturen hinsetzt, daß
er sein Äuge und seine Hand in langer Übung gestählt
hat. Von den jüngeren Malern kommen ihm darin nur
wenige nahe. Äm ehesten H. M. Pechstein, der diesmal
eine größere Sammlung von »Notizen« zeigt, eine Serie
von rasch hingeworfenen farbigen Impressionen, die man
als Talentproben und Einblicke in die Werkstatt wohl
gelten lassen kann. Er hat auch den Gipsabguß einer
Plastik: einen von Rodins Balzac inspirierten Kopf, aus-
gestellt. Georg Tappert, der neben Pechstein als einer
der Gründer der Neuen Sezession gelten kann, präsentiert
diesmal Radierungen, hauptsächlich Zirkusszenen, in lose
andeutenden Strichen, denen aber für mein Gefühl die
suggestive Kraft fehlt. Ganz toll ist Moriz Melzer, der
sich in ungeheuerlichen Holzschnitten austobt; es sind
Blätter von außerordentlichem Feingefühl in der Ab-
stimmung der Farbenwerte, aber im Kompositionellen und
Zeichnerischen von einer unerhörten und unerlaubten Gleich-
gültigkeit gegen alle Gebote der Natur und der Vernunft.
Famos ist Georg Einbeck, der in Paris lebt und dort ge-
merkt hat, daß man sich nicht einfach in die Raserei stürzen
darf, wenn man zur Kunst strebt; allerdings ist er, ebenso
wie der Hamburger Walter Heibig, durchaus abhängig von
französischen Vorbildern (teils Lautrec, teils Maurice Denis,
teils Cezanne). Manche arbeiten gar zu absichtlich auf
»Symbolik« hin; so Otto Freundlich in einer Zeichnung
»Adam und Eva«, oder Willy von Beckerath, der auch kein
Kind mehr ist (geboren 1868), aber mit klingendem Spiel
zu den Jüngsten überging und nun mit kindlichen Baum-
phantasien mystische Stimmungen erregen möchte. Beide
scheitern an der mangelnden inneren Durchbildung ihrer
Kohle- und Bleistift-Träumereien. Andere wieder sind
milder gesinnt. So Harold Bengen, der in ein paar orienta-
talischen Figurengruppen, in einer Skizze sich bäumender
Pferde und dem Entwurf einer Kampfkomposition kein
gerade himmelstürmendes, aber ein überzeugendes Talent
bezeugt. So E. L. Kirchner (Dresden), der neben schreck-
lichen Lithographien eine Radierung »Elbufer« und ein
impressionistisches Straßenaquarell ausstellt, mit denen
man sich durchaus befreunden kann. Oder Otto Mueller,
der sich an Ludwig von Hofmann anschließt (dessen
Spuren man auch sonst begegnet). Man sieht: es sind
genugsam Keime vorhanden, um der Gruppe Beachtung
zu erzwingen; nur darf man sie, so interessant ihr grobiani-
sches Auftreten als Zeitsymptom ist, in der Verachtung
der Natur und des Handwerks, die sie zu oft an den Tag
legen, nicht bestärken.
 
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