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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Osborn, Max: Berliner Sezession 1911
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Wolf, August: Neues aus Venedig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0207

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38g

Neues aus Venedig

3Q0

übersiedelt, einen feinen Frauenakt. Lyonel Feininger,
der Karikaturist, überrascht mit zwei Ölbildern eben-
so wie im Winter mit seinen jüngsten Grotesken.
Philipp Franck ist seinen jährlich gewohnten Schritt
weiter vorgerückt; seine »badenden Jungen« in einem
märkischen Gewässer beweisen es. Dora Hitz gibt
eine italienische Erinnerung von zarter Farbigkeit.
Kflrdorff ein angenehmes Bild seiner hübschen jungen
Frau. Neue Namen wieder sind Peter Koch, der eine
in frischem Grün leuchtende Landschaft aus der Rhein-
pfalz, Bernhard Hasler, der ein leicht hingesetztes
Porträt eines jungen Mädchens in blauem Kleide aus-
stellt. Linde-Walther hat ein ganz reizendes Bildnis
des Malers Heine Rath bei der Arbeit, Sabine Lepsius
ein Kinder-Doppelbild geschickt. Leo Michelson ver-
sucht es, absichtlich brutal und derb, mit einer Leda-
Empfängnis, gegen die Correggio zaghaft ist. Ernst
Oppler und Josef Oppenheimer bewähren sich als ge-
schmackvolle Porträtisten. Felix Mesack, wieder ein
homo novus, Max Naumann, Fritz Rhein, Berta
Schutz erregen Aufmerksamkeit. E. R. Weiß hat eine
kleine Kollektion, voran das bezaubernde Bildchen
eines schlafenden Mädchens von altfranzösischer süßer
Sinnlichkeit. Ulrich Hühner tritt mit neuen Lübecker
und Hamburger Bildern diesmal etwas zurück. Kurt
Tuch kommt hofmannisch, mit einem großen deko-
rativen Werk. Walser wollte den Kurfürstendamm
malen, aber dies Neuberlinische ist nicht so leicht zu
fassen. Prachtvoll ist als Landschafter wieder Wolde-
mar Rösler, einer der wenigen, denen ohne Frage
eine große Zukunft lacht. Damit erschöpft sichs
nicht; aber ich schließe den Berliner Rundblick. Es
ist eine ungewöhnliche Freude, so viel erwachendes
Leben zu grüßen.

Dies einheimische Element der Ausstellung domi-
niert. Aber es sind auch interessante Gäste gekommen.
Uhdes Andenken feierte man durch eine kleine Kol-
lektion, die meist Werke aus früher Zeit enthält: die
beiden kleinen »Geschwister« von 1883, das feine
Pastellbildchen Liebermanns, das Dr. Elias gehört, das
große Gemälde eines Mädchens im Hausgarten aus
dem Königsberger Museum und eine Familiengruppe
am Fenster eines Zimmers, alles Stücke ersten Ranges.
Auch eine große »Modellpause« ist da. Thoma,
Trübner sind vertreten. Auch Habermann und unser
lieber A. A. Oberländer; aber beide nicht sehr vor-
teilhaft. Dagegen sieht man von Th. Th. Heine eine
wunderhübsche Serie delikater Bildchen. Auch hier
wieder seien einige Unbekanntere notiert: Alexander
Herbig und Paul Wilhelm (Dresden) und Walter Klemm
(Dachau), der vom Holzschnitt herkommt und auch
in der Malerei noch etwas nach graphischen Effekten
sucht, aber ein eigenes Talent ankündigt.

Schließlich das Ausland. Man sieht ein ergreifen-
des, großartiges Selbstbildnis des alten Israels. Eine
farbenleuchtende Porträtgruppe von van Rysselberghe
(Baronin v. Bodenhausen mit ihren Kindern), eine un-
gemein geschickt gelöste Komposition. Dann eine
wundervolle Hodler-Serie, darunter drei über die
Maßen schöne einzelne Frauenköpfe. Auch ein paar
weniger interessierende Arbeiten von Werenskiöld.

Frankreich aber darf natürlich nicht fehlen. Es kommt
klassisch und hochmodern. Das Klassische ist durch
drei Daumiers aus Berliner Privatbesitz repräsentiert,
die zum Großartigsten gehören, was er malerisch ge-
schaffen hat. Unvergeßlich vor allem »Die Last«:
eine Proletarierfrau, die, ein Kind zur Seite, einen
schwerbeladenen Korb am Arme keuchend vorwärts-
schleppt. Das »Hochmoderne« aber ist ein Saal der
»Expressionisten«, wie sich diese Gruppe von Herbst-
salonleuten nennt, um ihr Abrücken vom älteren Im-
pressionismus äußerlich zu markieren. Der Raum
erregt in Berlin Unwillen und Gelächter — ich ge-
stehe, daß ich nicht begreifen kann, warum. Es ist
eine Schar von jüngeren Leuten, die auf den Schultern
von Cezanne und Gauguin zu originellen Lösungen zu
kommen suchen. Einige ein bißchen exzentrisch.
Einige etwas verdreht. Wie das die Freude an neuen
Entdeckungen oder Entdeckungsreisen so mit sich
bringt. Einige aber mit außerordentlicher Begabung.
Was an den raffiniert geschmackvollen, aus vibrieren-
dem Farbengefühl heraus entstandenen Bildern von
Le Beau (der noch ein bißchen wirr ist), von Andre
Derain, von Henri Doucet, von Henri Manguin na-
mentlich, Albert Marguet und Jean Pay, auch von
Maurice de Vlaminck zur Entrüstung Anlaß gibt, ist
mir völlig unerfindlich. Ich kann hier nur eine Fülle
von feinen neuen Dingen und Anregungen sehen, von
malerischen Stimmungen, die mich bereichern und
fesseln. Diese Jugend laß ich mir gefallen, die nicht,
wie die unsere, roh und brutal darauf losstürmt, son-
dern mit wirklicher Schulung und gebildetem Emp-
finden ausgerüstet die Grenzen der modernen Kunst
zu erweitern trachtet und zum Teil wirklich auch zu
erweitern beginnt. Diese Gruppe der Pariser mit
dem gewiß preziösen Namen gibt der Ausstellung
einen Zug, den ich nun und nimmer an ihr entbehren
möchte. Sie betont noch einmal das zähe Ausgreifen
und Zukunftwollen unserer Berliner Avantgarde.

Über die Plastik sei noch ein kurzer Bericht nach-
gesandt.

NEUES AUS VENEDIG

Unsere Galerie der Akademie soll zu keiner Ruhe
kommen! Denn kaum war die Sammlung wieder einiger-
maßen geordnet und drei neue Räume eröffnet, so zeigte
sich, daß in dem Räume, welchen der »Erste Tempelgang
der Maria« von Tizian schmückt, die geschnitzte Renaissance-
decke schleunigst eine Reparatur nötig hatte, wenn sie nicht
herunterfallen sollte. — Man war genötigt, Tizians Ge-
mälde, welches die Dekoration der einen Wand bildet,
herabzunehmen und sah mit großem Schrecken, daß sich
in der letzten Zeit in dieser Wand breite Risse und Spalten
gebildet hatten; gleicherweise unter den andern Gemälden,
welche, wie im Dogenpalast, das Ruinenhafte der Wände
maskierten. — Nun mußte der Raum geschlossen, das Ge-
mälde Tizians in den Herkulessaal verbracht und dort provi-
sorisch aufgestellt werden. — Die Galeriedirektion war
überdies genötigt, die Porträtausstellung in Florenz zu
beschicken. So entstanden auch dadurch neue Lücken,
und vergeblich werden die fremden Galeriebesucher nach
manchem im Katalog genannten Porträt der letzten Zeiten
der Republik sowie der darauffolgenden Zeiten suchen. —

Der Bau des Campanile schreitet rüstig voran.
 
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