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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Schmidt, Karl Eugen: Im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0317

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23.SER1911

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXII. Jahrgang

1910/1911

Nr. 39. 22. September 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

IM LOUVRE.

Der Diebstahl der Mona Lisa hat mich, ich will
es nur gleich gestehen, im ersten Augenblick recht
kalt gelassen, obgleich ich vermutlich den Louvre ein
klein wenig öfter besuche als die allermeisten, welche
die lauten Klagelieder angestimmt haben. Der Ver-
lust der Mona Lisa ließ mich sehr einfach darum
kalt, weil ich sie schon zwei Jahre lang nicht mehr
gesehen habe. Nicht die Mona Lisa allein, sondern
alle in Augenhöhe hängenden Gemälde des Louvre
sind seit zwei Jahren für die Besucher des Louvre
unsichtbar geworden. Man mag einwenden, was man
will: ich halte das Verglasen der Gemälde für eine
Barbarei. Die Bilder sind nun einmal zum Beschauen
da, nicht zum Aufbewahren, und ein Bild, das ich
nicht sehen kann, ist mir so gleichgülttg wie eines,
das überhaupt nicht existiert. Gegen die Narren
schützt man ein Bild auch nicht durch eine Glas-
scheibe; man müßte die Bilder dann schon in feuer-
sicheren Gewölben aufbewahren, und das ist doch
wohl kaum ihre Bestimmung.

Seit man die Bilder des Louvre mit einer Glas-
scheibe bedeckt hat, sieht man statt der Kunstwerke
nicht nur sich selbst, sondern auch die hinter oder
vor uns stehenden Besucher, den Fußboden und die
entgegenstehende Wand darin abgespiegelt. Ein Gang
durch die Gemäldesäle des Louvre ist seit dieser Zeit
wahrlich fast ein Spießrutenlaufen, denn jedes Bild,
das man anschauen möchte, gibt uns eine Spiegel-
ohrfeige. Den etwas helleren Italienern ist es noch
nicht so schlimm ergangen wie den Niederländern.
Das wunderbare Selbstbildnis Rembrandts ist über-
haupt absolut nicht mehr zu sehen, und die kleinen
Rembrandte erst gar nicht, weil in den kleinen Räumen,
wo sie hängen, die gegenüber stehenden Fenster mit
ihrer ganzen Lichtmacht in den Spiegel hineinstrahlen.
Nur noch die außer dem Bereiche der Arme und
Stöcke hängenden Bilder kann man im Louvre mit
Genuß und Freude beschauen, soweit die Entfernung
und Höhe uns nicht hinderlich ist, und mit Genug-
tuung beobachtet man die Tatsache, daß die Glas-
fabrikanten nicht imstande sind, so umfangreiche
Bilder wie die Hochzeit zu Kana von Veronese zu-
zudecken. Hoffentlich lernen sie es nie, und so
bleiben wenigstens einige wichtige Bilder im Louvre
von diesem Vandalismus verschont. Die Fresken
Botticellis sind übrigens dem Schicksal des Glases

nicht entgangen und lassen erwarten, daß man eines
Tages auch die Wände der Sistina mit Glas über-
ziehen werde.

Mehr als der Diebstahl selbst haben mich aber
seine Folgen aufgeregt. Der Ministerpräsident Caillaux
hat die vortreffliche Gelegenheit benutzt, um einen
seiner guten Freunde zum Direktor des Louvre zu
machen. Ich möchte den Lärm in der deutschen
Presse hören, wenn so etwas in Deutschland passierte,
d. h. wenn man einen verdienten und kenntnisreichen
Kunstgelehrten absetzte, um seine Stelle einem Husaren-
leutnant oder einem Polizeikommissar zu geben. Die
Franzosen sind geduldiger und lassen sich mehr ge-
fallen. Der neue Direktor war so etwas ähnliches
wie Polizeibeamter; und wäre durch irgend einen
Zufall der Polizeipräfekt Lepine zum Rücktritt ge-
zwungen worden, so hätte Herr Caillaux seinen Freund
Pujalet ohne Zweifel zum Nachfolger Lepines und
nicht zu dem Homolles gemacht. Der neue Direktor
hat denn auch seine Laufbahn als Museumsleiter ganz
so angefangen, wie man es von einem Polizeibeamten
erwarten muß. Wer ist der Feind der Polizei?
Eigentlich die Übertreter der Gesetze, gemeinhin aber
das Publikum im großen und ganzen. Das Publikum
ist der Störenfried, der dem Polizeimanne zu schaffen
macht. Könnte man das Publikum unterdrücken,
dann wäre der ideale Zustand der Ruhe und Ordnung
erreicht. Also versucht Herr Pujalet, so weit das mög-
lich ist, das Publikum aus dem Louvre zu verbannen.
Früher konnte man im Sommer acht und im Winter
sieben Stunden lang täglich das Museum besuchen.
Nur der Montag war als Ruhe- und Reinigungstag
ausgenommen. Jetzt wird das Publikum nur noch
sechs resp. fünf Stunden täglich zugelassen. Früher
waren die sämtlichen Säle des weitläufigen Baues an
allen Besuchstagen geöffnet, von jetzt an wird nie-
mals der ganze Louvre gleichzeitig offen sein, sondern
man muß vorher das Programm studieren, um zu
wissen, an welchen Tagen man die pompejanischen
Malereien, die ägyptischen und assyrischen Altertümer,
die Handzeichnungen oder die Sammlung Thomy-
Thierry besichtigen kann. Da die eigentlichen »great
attractions« des Louvre, die Gemälde der Renaissance
und die griechischen und römischen Skulpturen an
jedem Besuchstage gesehen werden können, so ver-
liert das große Touristenpublikum durch diese partielle
Schließung nicht sehr viel, und vermutlich mag es
 
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