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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Septemberheft
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Fries, C.: Pariser Theatermalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0028

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alles mit unseren Revuen übereinstimmt, nur daß der
Umfang noch größer, die Pracht der Kostüme noch
reicher und die Fülle weiblicher Schönheit noch blen-
dender ist als in Berlin. Zudem hat man den Eindruck,
daß hier alles dem Mutterboden wild entwächst, ohne
Umpflanzung und Pfropfung. Das Pariser Milieu gibt
alle seine Anwartschaften her, und Bild und Rahmen
klingen vollkommen zusammen. Das fehlt auf jedem
anderen Boden und läßt keine reine Harmonie auf-
kommen.

Sporadisch findet sich freilich auch ganz Modernes
und Gutes, z. B. in dem kleinen, zierlichen Theatre de
la Potiniere in der rue Louis le Grand. Der Genius des
Hauses ist Stanislas Medyes, eine der originellsten und
begabtesten Künstlerpersönlichkeiten von Paris. Nach
weltweiten Studien- und Wanderjahren und expressio-
nistischer Frühe, die manchen Triumph in Ausstellun-
gen bringt, landet er an der Seine und wird hier Refor-

durch Drehtüren mit ärmlicher bezw. reicherer Bema-
lung angedeutet, wobei so viel Umweltliches, Straßen-
fronten, Häuserblocks etc. hineinlugen, daß die zuschau-
ende Phantasie reich genährt ist. Casildilla, ein spani-
sches Interlude aus dem 17. Jahrhundert, entbindet un-
erhörten Maskenzauber, denn Dekoration und Kostüm
sind untrennbar. Für „Arc-en-ciel“ sieht man
Wolkenkratzer in taumelndem Futurismus wie
trunken hintenübergelehnt und auseinanderfallend,
ein Bild rauschhafter Erregung. Es wird in drei
Stockwerken übereinander gleichzeitig gespielt. Die
Ausstattung ist nicht mehr Rahmen, sie ist gleich-
wertig, sie spielt mit, das „Gesamtkunstwerk“ ist
Tatsache geworden. Der Einfluß auf die Dramatik
selbst ist damit ermöglicht, und dem Typus des Dichter-
Komponisten könnte sich der des Maler-Dichters an-
reihen. Langsam könnte sich das Verhältnis Dichter —
Maler wandeln und der Maler oder Dekorationskünstler

Vorhang für „Aucassin und Nicolette“ von Medgyes. Theatre des Mathurins

phot. Henri Manuel

mator des theatralischen Schlendrians. Als künst-
lerischer Leiter des Theatre Ber'iza inszeniert er
„Aucassin et Nicolette“ von Paul Le Flem oder „Arc-
en-ciel“ von Ribemoul-Dessaiques mit halbgemalten,
halb plastischen Dekorationen. In den „Sept Chansons“
von Malfpiere wird eine zentrale Plattform durch jewei-
ligen Abwandel der Requisiten zur gotischen Kirche,
zur brennenden Kapelle, zum Glockentum etc. Eine
neue, verdichtende, symbolisierende Theaterkunst er-
wuchs, und gegen den trägen Strom der Beharrung
schwimmend, ersann Medgyes die freie Szenen-
gestaltung, wie sie jetzt im Theatre de la Potiniere
blüht. Da werden Glasbrücken quer über die Bühne
gezogen, damit die Vorgänge im oberen Stockwerk wo-
möglich erkennbar bleiben. Mit Brücken wird über-
haupt viel operiert. Zu dem altenglischen Schauspiel
„The Knight of the burning Pestle“ von Beaumont und
Fletcher wird das Haus des Armen und des Reichen

die Hegemonie ergreifen. Jedenfalls sind Dinge von
siedendem Erregungswert vorhanden, und ihr Fort-
schritt ist zu beobachten. Uebrigens ist Medgyes auch
Leiter einer „Ecole pour la technique du theatre“. Wie
im Salon d’automne Szenenmodelle der Revuen von
Mathelin und Dutilbaux zu sehen sind, allerliebste
Miniaturbühnen mit fabelhaftem Aufwand, so hat Med-
gyes in seiner Schule die Modelle seiner Szenenkunst
wie einen vielstöckigen Wolkenkratzer im Kleinen auf-
gebaut, und gibt dem Besucher in seiner zwingend lie-
benswürdigen Weise jeden Bericht über das Werk. Er
arbeitete auch für das Theatre des Mathurins sowie
Trianon-Lyrique. An Theaterausstellungen in Paris,
New York u. a. war er beteiligt. An der Sorbonne
sprach er über den Geist der Inszenierung. Im Saal
der Comoedia fand eine Soiree zu Ehren der Schule
statt. Auf der Magdeburger Theater-Ausstellung war
Medgyes einer der drei Ausländer. 1927 hielt er Vor-

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