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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:
Wilm, Hubert: Die Rokoko-Ausstellung in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0069

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Die Rokoko=Aus(feüung in Denedig

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Im Hauptpavillon der Gardini Publici in Venedig,
*■ zwischen der Stadt und dem Lido, dort, wo in regel-
mäßigem Abstand die internationalen Kunstausstellun-
gen abgehalten werden, ist für diesen Sommer und
Herbst eine umfangreiche Ausstellung des italienischen
Rokoko eingerichtet worden. Der Titel der Veranstal-
tung, der eine Ueberschau über die ganze italienische
Kunst des 18. Jahrhunderts verspricht, ist etwas weit
gefaßt: In Wahrheit ist die Aufgabe nicht restlos be-
wältigt und die einzelnen Mittelpunkte der italienischen
Kunst des 18. Jahrhunderts kommen keineswegs gleich-
mäßig zur Geltung. Das Verhältnis, nach dem hier
Qualität und Quantität der Leistungen der einzelnen
Städte und Provinzen verteilt sind, ist nicht von histo-
rischer Treue. Den Hauptanteil nimmt Venedig für sich
in Anspruch. Das kommt der Ausstellung gewiß mehr
zugute als es ihr schadet, aber in dieser Beschränkung
liegen gleichzeitig die Grenzen der Veranstaltung ein-
geschlossen.

Diese Einschränkungen vorausgesetzt, kann man
die Ueberschau als sehr gelungen, als gut vorbereitet
und als trefflich angeordnet bezeichnen. Das Thema der
Veranstaltung paßt denn auch zu dem Rahmen Venedigs
wie kaum ein zweites und man fragt sich verwundert:
Warum ist hier nicht immer eine Rokoko-Ausstellung,
warum ist hier kein Rokoko m u s e u m ?

Unendlich ist das Stoffgebiet, das innerhalb der ge-
gebenen Abgrenzung behandelt wird. Nichts Wesent-
liches aus den Gebieten der Kunst und des Kunsthand-
werks fehlt. Da sind Bilder, Handzeichnungen und
Stiche, Skulpturen, Wandteppiche, Möbel in endloser
Fülle, da sind Karossen und Sänften, Modelle von
Prunkgondeln, Büchereinbände, Stoffe, Tapeten, Glas,
Keramik, Silberzeug, da sind Krippenfiguren und Spiel-
sachen. Man hat sich bei der Anordnung dieser Schätze
mit viel Geschick von einer ermüdenden, museums-
mäßigen Aufmachung ferngehalten: Wo es anging, sind
organische Situationsbilder geschaffen worden, Wolin-
räuine von bemerkenswerter Behaglichkeit, Kabinette,
Prunksäle. Am wenigsten geglückt scheinen die
großen Prunkräume, trotz ihres oft kostbaren Inhalts.
Gewiß, der große Empfangssaal mit der schönen Serie
der neapolitanischen Teppiche, mit der goldenen
Ballustrade und dem genuesischen Thron hat seine
Reize. Aber die kleineren Räume, die viel echter und
intimer, viel überzeugender wirken, sind bei weitem
anziehender!

Letzten Endes ist diese Tatsache erstaunlich, denn
das italienische Rokoko liebt, im Gegensatz zum franzö-
sischen, weniger die zierliche, überkultivierte, verfei-
nerte Sprache, als die wuchtige, pathetische Gewichtig-
keit des Barock. Das spricht sich vor allem in den

Möbeln aus, die den Vergleich mit den besten Stücken
französischer Herkunft nur schlecht vertragen. Vieles
ist hier rein äußerlich empfunden, bleibt schwunghafter,
dekorativer Gedanke, entbehrt einer tieferen Durchdrin-
gung der Materie. Und doch finden sich unter den
Möbeln einzelne ausgezeichnete Stücke, teils venetia-
nischer, teils römischer, teils piemontesischer Herkunft.
Immer wieder sind es die organisch zusammengestell-
ten Kabinette, die das einzelne Möbelstück, das Bild, die
Vitrine mit ihren Schätzen an Silber, Porzellan und
Majolika so recht zur Geltung bringen.

Die Malerei nimmt auf dieser Ausstellung einen sehr
breiten Raum ein. Eine strengere Auswahl hätte hier
die Gesamtwirkung wesentlich zu erhöhen vermocht.
Freilich, die vielen einzelnen Räume erfordern eine
große Menge malerischen Schmucks, dekorativen
Schmucks. So bleibt vieles reizlos und gleichgültig, und
doch erhöht dieses dekorative Beiwerk das Interesse
für die schön herausgebrachten Hauptmeister der
Epoche um ein Beträchtliches. Von der Kunst eines
Guardi, der beiden Tiepolo und der beiden
Canal et to vermittelt die Ausstellung einen vollen-
deten Begriff, ebenso wie von dem Können eines
Magnasco, der mit einer breiten Phalanx von Wer-
ken aufmarschiert. Mit großem Geschick ist das Kabi-
nett mit G uardis Werken eingerichtet; es zeigt die-
sen erstaunlichen Maler von allen Seiten seines reichen
Könnens: Als Landschafter, als genialen Schilderer der
venetianischen Atmosphäre, als Meister des Gesell-
schaftsbildes, als Schöpfer eines neuen, eminent künst-
lerischen Typs des Genrebildes: 11 Ridotto, zu deutsch
das Stelldichein. Diese kühne Leistung ist vielleicht der
Höhepunkt der malerischen Qualitäten der ganzen Aus-
stellung. Dem Guardi-Kabinett gegenüber liegt der
Raum mit den Bildern des G i a m b a 11 i s t a T i e -
p o 1 o. Auch hier muß man die vortreffliche Auswahl
der Bilder bewundern. Nicht minder als dieser be-
rühmte Träger des Namens kommt der zu Unrecht viel
weniger oft genannte G iandomenic o T i e p o 1 o
zur Geltung; der Saal mit seinen reizvollen Narren-
fresken ist einer der Höhepunkte der Veranstaltung.
Eine schöne und reiche Auswahl von Gemälden der bei-
den Canaletto, des Antonio Canale und des Ber-
nardo Belotto sichert diesen sympathischen Landschaf-
tern innerhalb dieser Ueberschau den ihnen gebühren-
den Platz.

Eine besondere Ueberraschung bildet neben den
schönen Arbeiten der C r c t i und Gr espi das
Werk des Pietro Longhi, der hier mit nachdrück-
licher Betonung in breiter Uebersicht zur Schau ge-
stellt wird. Mag sein, daß etliche Bilder nicht völlig
eigenhändige Arbeiten, sondern Schulwerke sind; die

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