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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Novemberheft
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Hajos, Elisabeth M.: Berliner Architektur und Architekten von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0106

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tung, vollkommen Neues folgen müsse. „Frühlicht“, eine
von ihm herausgegebene Folge „zur Verwirklichung des
neuen Baugedankens“ führt als Motto die Worte K. F.
Schinkels: „Die Kunst ist überhaupt nichts, wenn sie
nicht neu ist!“ Gegen die altübliche Monotonie des
grauen Stadtbildes protestierte er mit der Forderung
nach „farbiger Architektur“. Unter den zahlreichen
Siedlungen und Wohnungsanlagen, die er bisher aus-
führte, ist zweifellos die interessanteste und umfang-
reichste Schöpfung die 1000 Wohnungen fassende Groß-
siedlung Britz. In Zusammenarbeit mit Martin Wagner
unter der Bauherrschaft der „Geling“ entstanden, bildet
sic mit dem Mittelpunkt des Hufeisenringes eine nach
modernen Grundsätzen durchgeführte kleine Stadt-
anlage. Die Architektur steht völlig im Dienste der
Zweckmäßigkeit in der Grundrißgestaltung, wie in der

Anordnung der Wohnräume nach den Forderungen der
Hygiene und dem Hunger nach Licht und Luft des in
Steinmeere verlorenen Großstadtmenschen. Die glatten
Mauern gliedern schmucklos, aber zweckentsprechend,
große Lichtöffnungen, Fenster und Baikone. Die Far-
bengebung und die Umgebung von Bäumen und Rasen-
flächen mildern den Eindruck von Starrheit und Strenge.

M a x Taut, der jüngere der beiden Brüder, ist
eine ruhigere, weniger propagandistische Natur. Aber
auch für ihn bedeutet die neue Architektur nicht bloß ein
künstlerisches, sondern auch ein wichtiges soziales
Problem. Neben den Siedlungen von Ruhleben und
Eichkamp baute er das Verbandshaus der Deutschen
Buchdrucker und das Bürohaus des Allgemeinen Deut-
schen Gewerkschaftsbundes. Große Schulanlagen und
das Reichsknappschaftsgebäude sind im Bau begriffen.

Erwin G u t k i n d , Schöpfer mehrerer großer
Wohnungsanlagen, führte letzthin in Reinickendorf zwei
Wohnblocks aus. Verschiedenen Wohlfahrtseinrichtun-
gen, Kinder-Tagesheimen, Spielplätzen, Rasenplätzen
usw. ist hier Platz eingeräumt. Größte Umsicht
herrscht in der Ausnützung des vorhandenen Raumes.

Straßenseite oder Gartenfront tragen Baikone zu jeder
Wohnung. Neben ökonomischen Rücksichten in der
Ausführung herrscht Geschmack in der sparsamen,
großzügigen Gliederung der glatten Flächen und guten,
künstlerisch wirksamen Ecklösungen. Eine große
Helligkeit, sonnige Klarheit beherrschen das Bild der
Sachlichkeit. Ein Wohnbauvorhaben in Tempelhof
nach dem Prinzip des Zeilenbaues bedeutet eine der er-
freulichsten Lösungen modernen Wohnbaues. Galt es
doch noch kürzlich als Selbstverständlichkeit für den
Großstadtmenschen auf Nordseiten um enge, lichtlose
Höfe eingepfercht zu sein, bringt ihm nun die neue Archi-
tektur die längst erwünschte Lösung eines menschen-
würdigen, gesunden Obdachs. An der Umgestaltung des
Potsdamer Platzes ist Gutkind mit dem Projekt eines
Hochhauses an der Josty-Ecke beteiligt. So ist zu hoffen,

daß der Platz, dieses alte Sorgenkind Berlins, nun all-
mählich eine den neuen Ansprüchen entsprechende Um-
gestaltung erfährt.

Die B rüder Luc k h a r d t, Hans und Wassili,
sind beide unerbittliche Verfechter der Moderne. Auch
in verschiedenen Schriften befassen sie sich mit den
Problemen, die sie in ihren Bauten verwirklichen. Alle
Reminiszenzen an die altgewohnten Formen des Bauens
werden ausgeschaltet. Vom traditionellen Häuserstil
spukt nichts mehr darin. Jede romantische Ueberlegung
weicht vor der alleinigen Herrschaft der Zweckmäßigkeit
und Sachlichkeit. Die Lösung der Bauaufgabe erfolgt
mit höchster Einfachheit im Interesse eines ungemein
wichtigen Faktors: der Baumöglichkeit überhaupt. In
Dahlem entsteht eine Versuchssiedlung zum Ausprobie-
ren neuer Bauverfahren. Eine Reihe von Einfamilien-
häusern ist bereits vollendet. Ein wenig kühl und ratio-
nalistisch wirken diese Bauten, deren sparsame, scharfe
Formen aber auch ihren Reiz haben — den Reiz des
Knappen, Notwendigen, das durch nichts Ueberflüssiges
von seinem eigentlichen Sinne abgelenkt wird. Leichte,
schnelle Herstellung, Billigkeit und Raumersparnis bil-

B. Taut und M. Wagner: Großsiedlung Britz

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