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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Dezemberheft
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Peter, Kurt von: Chardin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0147

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\X/cnn man den „Eloge de Chardin“ von Haillet de
Couronne liest, der mit Ausführlichkeit den
Künstler darstellt, bemerkt man, daß Chardin nicht in
systematischer Entwicklung, nicht in vorweg erratbaren
Etappen „wurde, was er war“, sondern daß er in
anekdotenhafter Folge von Ereignissen sich —
seine künstlerische Originalität gefunden hat.

Er war auf dem linken Ufer der Seine am 2. Novem-
ber 1699 zu Paris geboren und spielte als Kind dort in
der Nähe des Seineufers, wo man vielleicht heute noch
bei Antiquaren, Raritäten- und Antiquitätenhändlern
(vielleicht zwischen altem Rouen und Nevers) Stiche
nach seinen Werken entdecken kann.

Nachdem sein Vater bedauert hatte, daß er nicht ein
einfaches aber sicheres Gewerbe ergreifen wollte, ließ
er ihn in das Atelier von Cazes, Maler des Königs, ein-
treten. Dieser Cazes war im „Schoß der Akademie
aufgewachsen“. Es gab bei ihm keine Modelle, und
von Studium nach der Natur war nicht die Rede. Wenn
man sein Gemälde „Tabithas Erweckung durch
Petrus“ betrachtet, das im Louvre hängt, sieht man,
daß zwischen ihm und Chardins Werken gar keine Ana-
logie besteht. Chardin verläßt dann das Atelier von
Cazes und erscheint als , aide“ von Noel-Nicolas Coypel,
der ihm als Anfangsarbeit aufträgt, in einem Jäger-
porträt ein Gewehr auf das genaueste zu kopieren. So
malt Chardin zum ersten Mal „nach der Natur“, und
mehr noch: da das Objekt für die Gesamtwirkung von
großer Wichtigkeit, begreift Chardin urplötzlich die
Bedeutung von Licht und Schatten, die Bedeutung der
Vorder-, der Hintergründe, des Umrisses, der Farbe,
des Helldunkels; Chardin hat sich „gefunden“.

Dann sieht man Chardin in der Gefolgschaft von
Van Loo einen Teil der Fresken Rossos und Prima-
ticcios in der Galerie Francois 1. im Schloß zu Fontaine-
bleau zum Tarif von „cent sols par jour“ restaurieren.

Ein wenig später beauftragt ihn ein Chirurg, Freund
von Vater Chardin, ihm ein Aushängeschild für seinen
Laden zu malen; er erwartet die Instrumente seiner
Kunst, Operationsmesser und ähnliches dargestellt zu
sehen. Aber Chardin malt ein Figurenbild, das man
„Folgen eines Straßenduells“ benennen könnte, zeigt
einen Blessierten, den man in den Laden eines Chirur-
gen gebracht und der von diesem untersucht und ver-
bunden wird; zeigt den Polizeikommissar, die Wache,
Frauen und.andere Figuren, die die Szene füllen. Eines
schönen Tages, als noch alle im Hause des Chirurgen
schlafen, läßt Chardin das Bild auf seinem Platz über

dem Eingang des Ladens aufhängen-der Chirurg

sieht vom Fenster aus eine Schar Neugieriger, die sich
vor seiner Tür ansammeln, erblickt diesen „plafond“,
will sich ärgern, da seine Utensilien nicht gemalt sind;
aber das Lob des Publikums beruhigt seine schlechte

Laune. Das Bild machte ungeheuer viel Aufsehen. Auf
der Auktion des Graveur Le Bas, 1783, kam es für
100 francs in den Besitz des Neffen des Malers, des Bild-
hauers Chardin, der in diesem Bild beinahe alle Por-
träts der eigenen Familienangehörigen zu finden meinte;
dann verschwand es, aber im Jahre 1807 kaufte die
Stadt Paris eine ausgezeichnete Skizze dieses „Aus-
hängeschildes“, die von Laperl'ier aufgefunden war und
die im Musee Carnavalet bis 1871 blieb, wo sie während
der Commune der Vernichtung anheimfiel. In einer
kleinen Radierung von Jules de Goncourt lebt dieses
Werk fort.

Dieser Le Bas war mit Chardin befreundet. Als
er einmal in sein Atelier kommt, sieht er ein Bild, vor
dem er entzückt ist und äußert den Wunsch, Eigentümer
des Werkes zu werden. Man wird sich verständigen,
sagt Chardin. Du hast da ein Wams an, das mir vor-
trefflich gefällt.-Herr Lc Bas verläßt ohne Wams

aber'mit dem Gemälde das Atelier. Es war ein Stilleben.
(Vcrgl. de Goncourt, Portraits.)

Nicht minder merkwürdig als die Geschichte des
Aushängeschildes ist ein anderes, zufälliges Ereignis,
durch das Chardin sich hervortut. Der „Salon“ war
damals den „academiciens“ Vorbehalten, und so veran-
stalteten die jungen Künstler am Tage der Fete-Dieu
eine Ausstellung ihrer besten Werke im Freien auf der
Place Dauphine. Diese Ausstellungen sind zuerst für
das Fest von 1722 erwähnt, dauerten nur zwei Stunden,
im Augenblick des Vorbeikommens der Prozession wur-
den die Gemälde, Zeichnungen und Gravüren enthüllt.
Auf dieser „Exposition de la Jeunesse“, die etwa dem
„Salon des Refuses“ entsprach, hat Chardin „debütiert“.
Jean-Baptiste Van Loo, der Neffe des Carl Van Loo,
sieht Chardins Gemälde, das ein „Bas-relief in Bronze“
zur Darstellung bringt („Feint de bronze“), ist von der
Vollkommenheit der Arbeit in Erstaunen gesetzt und
drängt dem bescheidenen Chardin für das Bild eine
Summe auf. Diese Auszeichnung durch einen sehr an-
gesehenen „confrere“, wie den Maler .]. B. Van Loo,
war geeignet den Namen des jungen Chardin in der
Oeffentlichkeit auf das Beste zu begründen.

Als er 1728 auf der Place Dauphine mit mehreren
Gemälden (Stilleben), u. a. „La Raie“, auf den Plan tritt,
erweckt er die Neugierde der „academiciens“, und zwei
Monate später stellt er sich der „Academie de peinture“
vor. Wie Haillet de Couronne berichtet, hat Chardin
bei dieser Gelegenheit von einer „Kriegslist“ Gebrauch
gemacht, um die Ansicht der Herren auszuforschen. Er
verteilt seine Gemälde in einem ersten kleinen Saal der
Academie des Beaux-Arts im Louvre und bleibt im
zweiten, M. de Largilliere, einer der besten Koloristen
und Theoretiker über die Wirkungen des Lichts, kommt
und entzückt von diesen Bildern, bleibt er stehen und

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