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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI issue:
1./2. Aprilheft
DOI article:
Unus, Walther: Neuentdeckte Bilder von Carl Blechen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0299

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Blechen aber bestand das Produzieren im Verleben-
digen eines Ganzen durch die Einzelheiten. Es ist sehr
wohl möglich, daß aus dieser Divergenz ihrer künst-
lerischen Schaffensorganisation die beiden allem An-
schein nach einander später wenig mehr zu sagen hatte.

Das neugefundene Bild ist die „Große Kirchen-
ruine“ mit dem schlafenden Pilger vom Jahre 1826. Sie
fällt also mitten in die Zeit seiner Arbeit als Dekora-
tionsmaler am Königstädtischen Theater und ist der Be-
weis, daß er noch Energie genug hatte, große Arbeiten
zu unternehmen und daß sein Stil nicht, wie ihm Zeit-
genossen vorwarfen, durch diese Tätigkeit verdorben
war. Die Dresdner Reise war vorausgegangen und
gotische Formen großen Stils in Sandstein hatte er wohl
zum ersten Mal wirklich erlebt. Aber was will das, was
will die Bekanntschaft mit Caspar David 'Friedrichs
gotischen Bildern besagen, angesichts dieser Schöpfung?
Sie verblassen zur Harmlosigkeit bloßer Anregung. Wir
sehen aus einer Chorkapelle zwischen mächtigen goti-
schen Bündelpfeilern hindurch in das Langhaus eines
fünfschiffigen Doms. Die Decke fehlt; oben auf den
Mauern sind kleine Tannen aufgesproßt. Geradeaus
blickt man in das auffallend schmale Querschiff und in
die Gewölbe der Seitenschiffe. Der Estrich ist auf-
gebrochen, mannigfach zerklüftet, die Kellerwölbungen
liegen blos und links unter dem Chor stehen die alten
Särge, fast vom Wasser erreicht, das sich vorn zu einem
düstern Tümpel gesammelt hat. Auf dem trümmer-
haften Estrich der vorderen Vorkapelle schläft in sei-

Carl Blechen, Die große Kirchenruiine
Im Besitz der Galerie Dr. Beermann—Zickel, Berlin

Carl Blechen, Italienerin

nem Mantel gehüllt ein Pilger. Diese beiden novellisti-
schen Momente, die Särge und der Pilger, vielleicht wie
so manches Damaliges bei Blechen aus E. T. A. Hoff-
mann entnommen, bleiben für den Gesamteindruck
nebensächlich. Mit dem sichern Instinkt des Genies
hat Blechen begriffen, was er hier zu gestalten hatte:
das großartige Gefühl innerer ernster Bewegtheit, dem
ein großartiges Motiv gerade entsprach. Der Grund-
ton des Bildes ist grau, jenes malerische an allen
Schattierungen überreiche Grau des verwitterten
Sandsteins entscheidend variiert durch grüne Töne,
durch das leichte Blau des Stückchens Himmel, durch
gelbliche Lichter und reguliert durch das wenige Weiß
des kleinen Birkenstammes, der aus dem Gewölbe auf-
wächst. Die Pinselführung ist von einer Breite und
Freiheit, die damals ganz ungewöhnlich war und wie
sie auch Friedrich nicht erreicht hat, — insofern hatten
die Kritiker recht, die an spitze und trockene Malerei
gewöhnt waren. In der Tat scheint ja auch Blechen,
wie das bisher als wichtigstes Bild dieser Periode gel-
tende Semnonenbild, das wohl im Jahre 1827 entstand,
zeigt, dem Zeitgesmack mehr Konzessionen gemacht zu
haben. In der Kirchenruine findet sich keine Stelle des
Zauderns, es ist frei und ausgeglichen in allen seinen
Teilen. Dabei muß man berücksichtigen, daß das Bild
nicht weniger als 1,30 m hoch und 96 cm breit ist, und
wird zugeben, daß diese Schöpfung der deutschen
Romantik an künstlerischer Bedeutsamkeit nicht nur
innerhalb ihrer Periode wie ein wahres Wunder dasteht.

Zwei Jahre später trat der Künstler seine italieni-
sche Reise an, deren Ergebnisse allein unter seinen Wer-

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