mus in ganz allgemeinem Sinn; zu einem Wirken-
wollen, das zu seinen Mitteln nicht nur eine mehr oder
weniger hypothetische Schönheit, sondern ebenso gut
auch ihr Gegenteil zählen darf. Worauf die künstlerische
Absicht im Einzelfall hinzielt, ist in diesem Zusammen-
hang zunächst völlig irrelevant.
Die soziologische, kunsthistorische und schließlich
auch die —• sicher noch mit Vorsicht zu wertende! —
psychoanalytische Forschung haben das Wesen des
Kunstschaffens und seiner Wirkung so weit geklärt, daß
wir die Vergangenheit der Kunstkeramik und ihre
Schöpfungen mit ganz anderen Augen anschauen als es
noch vor wenigen Jahren möglich war. Die passive
„Fin de siede“-Epoche ist vorüber und hat hoffentlich
endgültig einer lebensnaheren Kunst Platz gemacht, die
für müßige Spielereien keinen Raum mehr bietet; auch
keinen Raum mehr für mißverstandene historische
Stile, denen ein dekadentes Geschlecht das Beste, die
künstlerische Absicht, zu rauben versuchte.
Die Anfänge der Kunstkeramik fallen mit den Ur-
anfängen aller Kunst zusammen. Weitgehend klärend
auf diesem früher viel umstrittenen Gebiet haben die
Forschungen des Berliner Psychologen J a e n s c h ge-
wirkt, der mit dem von ihm geschaffenen Begriff der
„Eidetik“ den Zugang zur prähistorischen Kunst erst
richtig eröffnet hat. Der primitive Mensch besitzt ebenso
wie das Kind in verstärktem Maß die Fähigkeit,
das sinnlich Erschaute in Erinnerungsbildern fest-
zuhalten und wiederzugeben. Diesem ersten, rein
„impressionistischen“ Kunstschaffen mußten natur-
gemäß leicht bearbeitbare Werkstoffe dienen, also vor
allem der Ton. Doch schon diese erste Epoche der
Kunstkeramik beschränkte sich nicht auf die veristische
Wiedergabe ruhender Sinneseindrücke, sondern suchte
schon den Rhythmus oft gesehener Bewegungen ein-
zufangen und bildhaft zu gestalten.
Daß auch schon in prähistorischen Zeiten der Aus-
druckswille zu seinem Recht kam, beweist der bei allen
primitiven Völkern verbreitete Totemismus. Wie wir
an anderer Stelle ausgeführt haben, eignete sich gerade
das keramische Material dank seinem Natursymbol-
gehalt —: der dem Primitiven stärker zum Bewußtsein
kommt als uns — zur Formung der Totemfiguren, in
die sich der naturnahe Mensch die bannenden Kräfte
eingefangen dachte.
Die historische Zeit der Kunstkeramik steht unter
dem alles beherrschenden Zeichen des Symbols.
Die instinktiv-synthetische Herrschaft der Natur-
symbole dauerte in unserem Kulturkreis bis ins
17. Jahrhundert. Kann man sich etwas erdgebunderes
denken als die griechischen Terrakotten? Und auch
die mittelalterliche Kunstkeramik hat — soweit sie
nicht maurischen oder italienischen Einflüssen erlegen
war — durchaus das Gesicht einer primitiven, natur-
verbundenen Kunst. Der Einfluß Südeuropas, der auf
den analytischen Geist der maurischen Kultur zurück-
geht, begegnete sich mit dem Rationalismus Nord-
europas. Das Ergebnis war die absolute Präponderanz
eines „Zeitsymbols“, dessen aktuelle Wirkung in der
Gestaltung der Gesellschaftsstruktur in Erscheinung
trat. Es kann nichts Verfehlteres geben als den Ver-
such, etwa in der frühen Porzellankunst Europas „ver-
spieltes“ Rokoko zu sehen. Das geistige Drängen des
Barock fand vielmehr im Rokoko einen bis ins Letzte
bewußten und gewollten Ausdruck. Was ist der Sinn
im Schaffen Kaendlers (der seine meisten Werke
im Auftrag eines Fürsten ausführte)? Etwa nur die
tändelnde Verspieltheit der Comedia dell’arte; nichts als
gleichgültiges Theater? Nein, es war die absichtsvolle
Verherrlichung einer Gesellschaftsschicht, die den
Boden unter ihren Füßen schwanken fühlte und die in
der Ausnutzung einer Kunstform, die wie keine zweite
zu den im mütterlichen Boden verwurzelten Instinkten
des Volkes zu sprechen vermochte, das beste Mittel zu
ihrer eigenen Verherrlichung und damit auch politischen
Konsolidierung sah. Wer die soziologische Komponente
der Kunstkeramik des 18. Jahrhunderts übersieht, ver-
schließt sich damit ihrem Verständnis. Natürlich darf
dabei nicht übersehen werden, daß Künstler wie
Bustelli und Kaendler so mit ihrer Zeit ver-
wachsen waren (was freilich ein Vorwurf gegen ihre
geistige Bedeutung ist!), daß sie nur für sie und nicht in
die Zukunft wirken konnten. Das „ästhetische Wohl-
empfinden“, das ihre Werke noch in dem Kenner er-
wecken, ist nur ein Ausdruck dafür, daß sie tief genug
in den Geist ihres Werkstoffes eingedrungen waren, um
ihn auch noch absichtslos hervorleuchten zu lassen. Ihre
Klassizität aber dokumentiert ihren Verzicht auf Wir-
kung in die Zukunft.
Die einmal geweckte konservative Zweckabsicht
der Kunstkeramik wirkte sich auch noch im 19. Jahr-
hundert aus. Empire und Biedermeier sind, wie in der
übrigen bildenden Kunst, so auch in den Schöpfungen
der Porzellan- und Fayencekunst, Spiegel ihrer Zeit;
nicht mehr und nicht weniger. Der nachwirkende
Rationalismus schnitt den Weg zum Natursymbol ab;
die aufkommende Romantik verbaute jeden Zugang zu
einer über die Grenzen des beengten Alltags hinaus wir-
kende Kunst.
Daß die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht
geeignet war, der Kunstkeramik neue geistige Antriebe
zu geben, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu wer-
den. Noch heute lastet jene jüngste Vergangenheit, die
in jeder Hinsicht veräußerlicht war, wie ein Alb auf uns.
Daumier-Figuren in Ton hätten wirken und auch einem
schlafenden Bürgertum die Augen öffnen können. Doch
nirgends fand sich ein Künstler, der sie hätte schaffen
können. Das Natursymbol war verschüttet und zum
zukunftweisenden Zeitsymbol fehlte die geistige Kraft.
Der keramische Künstler war zum geschickten Tech-
niker geworden und ist es leider auch noch bis auf den
heutigen Tag oft geblieben. Und doch hätten schon die
geistigen Kämpfe, wie sie auf anderen Feldern der
bildenden Kunst zu Anfang unseres Jahrhunderts ent-
brannten, die „Bildner des göttlichen Schöpfungs-
materials“ darüber belehren müssen, daß die Rettung
der keramischen Kunst die geistige Durchdringung eines
ganz eignen Weltbildes voraussetzt.
Die Gesundung der Kunstkeramik wurde eingeleitet
durch einen Künstler wie Paul Sceurich, indem die
322
wollen, das zu seinen Mitteln nicht nur eine mehr oder
weniger hypothetische Schönheit, sondern ebenso gut
auch ihr Gegenteil zählen darf. Worauf die künstlerische
Absicht im Einzelfall hinzielt, ist in diesem Zusammen-
hang zunächst völlig irrelevant.
Die soziologische, kunsthistorische und schließlich
auch die —• sicher noch mit Vorsicht zu wertende! —
psychoanalytische Forschung haben das Wesen des
Kunstschaffens und seiner Wirkung so weit geklärt, daß
wir die Vergangenheit der Kunstkeramik und ihre
Schöpfungen mit ganz anderen Augen anschauen als es
noch vor wenigen Jahren möglich war. Die passive
„Fin de siede“-Epoche ist vorüber und hat hoffentlich
endgültig einer lebensnaheren Kunst Platz gemacht, die
für müßige Spielereien keinen Raum mehr bietet; auch
keinen Raum mehr für mißverstandene historische
Stile, denen ein dekadentes Geschlecht das Beste, die
künstlerische Absicht, zu rauben versuchte.
Die Anfänge der Kunstkeramik fallen mit den Ur-
anfängen aller Kunst zusammen. Weitgehend klärend
auf diesem früher viel umstrittenen Gebiet haben die
Forschungen des Berliner Psychologen J a e n s c h ge-
wirkt, der mit dem von ihm geschaffenen Begriff der
„Eidetik“ den Zugang zur prähistorischen Kunst erst
richtig eröffnet hat. Der primitive Mensch besitzt ebenso
wie das Kind in verstärktem Maß die Fähigkeit,
das sinnlich Erschaute in Erinnerungsbildern fest-
zuhalten und wiederzugeben. Diesem ersten, rein
„impressionistischen“ Kunstschaffen mußten natur-
gemäß leicht bearbeitbare Werkstoffe dienen, also vor
allem der Ton. Doch schon diese erste Epoche der
Kunstkeramik beschränkte sich nicht auf die veristische
Wiedergabe ruhender Sinneseindrücke, sondern suchte
schon den Rhythmus oft gesehener Bewegungen ein-
zufangen und bildhaft zu gestalten.
Daß auch schon in prähistorischen Zeiten der Aus-
druckswille zu seinem Recht kam, beweist der bei allen
primitiven Völkern verbreitete Totemismus. Wie wir
an anderer Stelle ausgeführt haben, eignete sich gerade
das keramische Material dank seinem Natursymbol-
gehalt —: der dem Primitiven stärker zum Bewußtsein
kommt als uns — zur Formung der Totemfiguren, in
die sich der naturnahe Mensch die bannenden Kräfte
eingefangen dachte.
Die historische Zeit der Kunstkeramik steht unter
dem alles beherrschenden Zeichen des Symbols.
Die instinktiv-synthetische Herrschaft der Natur-
symbole dauerte in unserem Kulturkreis bis ins
17. Jahrhundert. Kann man sich etwas erdgebunderes
denken als die griechischen Terrakotten? Und auch
die mittelalterliche Kunstkeramik hat — soweit sie
nicht maurischen oder italienischen Einflüssen erlegen
war — durchaus das Gesicht einer primitiven, natur-
verbundenen Kunst. Der Einfluß Südeuropas, der auf
den analytischen Geist der maurischen Kultur zurück-
geht, begegnete sich mit dem Rationalismus Nord-
europas. Das Ergebnis war die absolute Präponderanz
eines „Zeitsymbols“, dessen aktuelle Wirkung in der
Gestaltung der Gesellschaftsstruktur in Erscheinung
trat. Es kann nichts Verfehlteres geben als den Ver-
such, etwa in der frühen Porzellankunst Europas „ver-
spieltes“ Rokoko zu sehen. Das geistige Drängen des
Barock fand vielmehr im Rokoko einen bis ins Letzte
bewußten und gewollten Ausdruck. Was ist der Sinn
im Schaffen Kaendlers (der seine meisten Werke
im Auftrag eines Fürsten ausführte)? Etwa nur die
tändelnde Verspieltheit der Comedia dell’arte; nichts als
gleichgültiges Theater? Nein, es war die absichtsvolle
Verherrlichung einer Gesellschaftsschicht, die den
Boden unter ihren Füßen schwanken fühlte und die in
der Ausnutzung einer Kunstform, die wie keine zweite
zu den im mütterlichen Boden verwurzelten Instinkten
des Volkes zu sprechen vermochte, das beste Mittel zu
ihrer eigenen Verherrlichung und damit auch politischen
Konsolidierung sah. Wer die soziologische Komponente
der Kunstkeramik des 18. Jahrhunderts übersieht, ver-
schließt sich damit ihrem Verständnis. Natürlich darf
dabei nicht übersehen werden, daß Künstler wie
Bustelli und Kaendler so mit ihrer Zeit ver-
wachsen waren (was freilich ein Vorwurf gegen ihre
geistige Bedeutung ist!), daß sie nur für sie und nicht in
die Zukunft wirken konnten. Das „ästhetische Wohl-
empfinden“, das ihre Werke noch in dem Kenner er-
wecken, ist nur ein Ausdruck dafür, daß sie tief genug
in den Geist ihres Werkstoffes eingedrungen waren, um
ihn auch noch absichtslos hervorleuchten zu lassen. Ihre
Klassizität aber dokumentiert ihren Verzicht auf Wir-
kung in die Zukunft.
Die einmal geweckte konservative Zweckabsicht
der Kunstkeramik wirkte sich auch noch im 19. Jahr-
hundert aus. Empire und Biedermeier sind, wie in der
übrigen bildenden Kunst, so auch in den Schöpfungen
der Porzellan- und Fayencekunst, Spiegel ihrer Zeit;
nicht mehr und nicht weniger. Der nachwirkende
Rationalismus schnitt den Weg zum Natursymbol ab;
die aufkommende Romantik verbaute jeden Zugang zu
einer über die Grenzen des beengten Alltags hinaus wir-
kende Kunst.
Daß die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht
geeignet war, der Kunstkeramik neue geistige Antriebe
zu geben, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu wer-
den. Noch heute lastet jene jüngste Vergangenheit, die
in jeder Hinsicht veräußerlicht war, wie ein Alb auf uns.
Daumier-Figuren in Ton hätten wirken und auch einem
schlafenden Bürgertum die Augen öffnen können. Doch
nirgends fand sich ein Künstler, der sie hätte schaffen
können. Das Natursymbol war verschüttet und zum
zukunftweisenden Zeitsymbol fehlte die geistige Kraft.
Der keramische Künstler war zum geschickten Tech-
niker geworden und ist es leider auch noch bis auf den
heutigen Tag oft geblieben. Und doch hätten schon die
geistigen Kämpfe, wie sie auf anderen Feldern der
bildenden Kunst zu Anfang unseres Jahrhunderts ent-
brannten, die „Bildner des göttlichen Schöpfungs-
materials“ darüber belehren müssen, daß die Rettung
der keramischen Kunst die geistige Durchdringung eines
ganz eignen Weltbildes voraussetzt.
Die Gesundung der Kunstkeramik wurde eingeleitet
durch einen Künstler wie Paul Sceurich, indem die
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