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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Juniheft
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Junius, Wilhelm: Peter Breuer von Zwickau
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0377

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duellen Merkmale der Handschrift gewisse Wesens-
eigentümlichkeiten und seelische oder Charaktereigen-
tümlichkeiten des Schreibers. Aber die angesichts der
zahlreichen imporiderabilen Fehlerquellen häufigen Miß-
erfolge solcher Deduktionen machen ebenso skeptisch
wie ablehnend gegenüber, aller Schematisierung und
Schabionisierung von Kunstwerken, Künstlern und
Kunsthandwerkern. Kunstwissenschaft ist nicht mit
karthotekarischer Registrierung, histologischen Metho-
den, mikroskopierender Technik, auf Kunstwerke be-
zogen, zu identifizieren, sonst wäre der Katalog, das
Inventar, die Dr.-Dissertation alles, und das Kunstwerk
nur das Mittel zum Zweck.

Trotzdem können auch wir natürlich hier nicht

gänzlich darauf verzichten, auf diese oder jene beson-
dere Eigenart bei Breuer hinzuweisen, und müssen be-
tonen, daß etwa bei seinen Spätwerken (1515—1520) die
Breite und Gewandfülle, die Knüll- und Knäuelfalten,
das Wogende, Gebauschte an Kleidern, Schleiern,
Mänteln und Tüchern sich immer stärker bemerkbar
macht, gegenüber der ruhigen, oft steifen, schlanken,
strengen und herben Formengebung zwischen 1497 und
1512. Nicht das Wie der Mittel, mit denen der Ausdruck
erreicht, wird, sondern die Charakterisierung dieser in-
dividuellen Physiognomik ist das Wesentliche und des-
halb des Hinweises bedürftig. Darum ist es auch ganz
nebensächlich, ob die Regenbogenhaut der weitgeöffne-
ten Augen verschwindet, die Augen umflort und die
Lieder schwarz gerändert sind, die Nasenspitze gerötet
ist, und Breuers heilige Frauen deshalb so schmerzvoll
aussehen. Sondern daß sie oft mit gerümpften Näs-
cben, einem kaum merklichen spöttischen Lächeln
(Maria im Mittelschrein des Cranzahler oder Mülsener
Altares), bald schmerzbekümmert oder schmollend und
mit gesenktem Blick wie ein gescholtenes Schulmädel

dastehen und „eben so ganz anders sind“ wie die lusti-
gen Figürchen im Schrein des Markersdorfer Altärchen
im Dresdner Altertumsmuseum (Nr. 184 a), wie die vor-
nehmen und geputzten Damen des Leipziger Meisters
des Knauthainer Altars, die grobzügigen, wölbstirnigen
„slawischen“ Gesichtet der Freiberger Figuren, die
blöden Gesichter des Kittlitzcr Altars (Bautzen, Mu-
seum) ganz zu schweigen von den edlen Gestalten des
Meisters H. W. von Chemnitz, die phrenologisch und
mimisch nach Gesichtswinkel, Augenstellung, Stirn-
wölbung, Wangen, Nasenform, Mund- und Kinnbildung
einer ganz anderen rassenkundlichen Kategorie anzu-
gehören scheinen. Die breitstirnige Gesichtsbildung, die
kräftig herausspringenden Jochbeine, die schmalen ein-

gefallenen Wangen Breuerscher Männer, die herbe
Wehmut oder der spitzige „indignierte“ oder „pikierte“
Ausdruck, die fein durchbildete Mundpartie seiner weib-
lichen Gestalten ist einzigartig in der sächsischen
Plastik — kurz das spezifisch Riernenschneidersche
seiner Ausdrucksgestaltung (weniger der bohrenden
Technik) — unterscheidet ihn stilistisch deutlich und
unverkennbar von seinem Chemnitzer Zunftgenossen,
dem Monogrammisten H. W„ grenzt seine individuelle
Eigenart klar und scharf ab von der gesamten zeitge-
nössischen erzgebirgischen Kunst im besonderen und
der übrigen obersächsischen Plastik im Gebiete des
heutigen Freistaates Sachsen und Thüringen im allge-
meinen.

Daß sein größeres technisches Vermögen, auf seiner
engeren Beziehung zu Riemenschneider und der starken
Inanspruchnahme seiner Werkstatt durch zahlungs-
fähige und anspruchsvolle Besteller beruhend, ihn mit
zunehmendem Alter (er dürfte etwa 1470 geboren sein
und starb 1541 im 71. Lebensjahre) zur Uebertreibung
seiner stilistischen Eigenheiten in inanirierter Weise

Miilsen St. Jakob Flügelaltar des Peter Breuer von Zwickau. Um 1510

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