August 1706, fast 76jährig, die Augen für immer ge-
schlossen hatte.
Noch zu Willmanns Lebzeiten erstand ihm ein Bio-
graph in seinem Kollegen Joachim von Sandrart in
Nürnberg, dem Herausgeber der „Teutschen Akade-
mie“, mit dem er in Briefwechsel stand. Im 19. Jahr-
hundert sind weiter verschiedene Schriften über Will-
manns Leben und seine Werke erschienen, auch zwei
Doktorarbeiten über ihn gemacht und gedruckt worden.
Doch zu einer rechten Würdigung des Künstlers kam
es bisher noch nicht, vielleicht weil eine rechte An-
schauung von seinem Lebenswerke fehlte.
Die Verlebendigung seiner Kunst ist ihm jetzt erst
zuteil geworden in einer großen Ausstellung
im Museum der bildenden Künste in Breslau, das damit
sein 50jähriges Bestehen feiert. Im Treppenhause und
in sechs großen Sälen sind von überall her beglaubigte
Schöpfungen des Künstlers zum ersten Male vereint:
84 Gemälde, ferner Oelskizzen, Handzeichnungen und
Radierungen, wie man sie auf Jahrzehnte hinaus nie
wieder zusammen sehen wird.
Erstaunlich ist Willmanns Fruchtbarkeit und seine
Vielseitigkeit. Porträts hat er nur wenige geschaffen,
weil er sich weigerte, in die Breslauer Malerzunft ein-
zutreten und ihm deshalb das „Contrafeiten“ verboten
war. Aber neben den Bildnissen seiner Gönner Arnold
Freiberger von Leubus und des Abtes Bernhard Rosa
von Grüssau besitzen wir ein Selbstbildnis von 1682.
Aus den energischen Zügen einer robusten Gestalt
spricht die Animalität eines ungezügelten Temperamen-
tes. Er trägt einen modischen Lippenbart, wie sein
Zeitgenosse, der Dichter Andreas Gryphius, aber nicht,
wie dieser, eine Allongeperücke, die auch sein Lands-
mann Simon Dach, der Dichter des „Aennchen von Tha-
rau“, als fremden Tand verschmähte. Man versteht es,
daß dieser kraftvolle und sinnenfrohe Mensch anfangs
sich zu mythologischen Bildern hingezogen fühlte, daß
er eine „Venus mit Cupido und Vulkan“, den „Aktäon
und Diana“, eine „Marter des Marsyas“, „einen Raub
der Proserpina“ und „Europa“ auf dem Stier malte,
seine glücklichste und graziöseste Arbeit, wie einer sei-
ner Biographen geurteilt hat. In der Tat geht der Künst-
ler in diesem überaus feinfarbigen Bilde weit über seine
Zeit hinaus und nimmt eigentlich schon echte Rokoko-
stimmung vorweg. Vielleicht galt derartigen Bildern
seine ursprüngliche und stärkste Neigung. Aber er hat
sie später unterdrückt, als er Kirchenmaler geworden
war. Denn er war es gläubigen Sinnes und frommen
Herzens. Sonst hätte er mit seinen Tafelbildern nicht
einen so starken Eindruck machen können, wie er es
heute noch tut. Zwischen die Heiligenbilder und die
allegorischen schieben sich entzückende Landschaften
mit kleiner Staffage, wieder aus der Mythologie oder
der Bibel, in denen er sich von der düsteren Schwermut
seiner Vorgänger in der Landschaftsmalerei befreit und
nach italienischem oder besser französischem Vorbilde
einer farbig bunten Lockerheit zustrebt. Ein Bild wie
der „Traum Jakobs“, in dem die Engel auf der Leiter
in den Himmel klettern, ist von bestrickender Feinheit.
Angesichts aber der mit ungeheurem Pathos, erstaun-
licher Kraft und Sicherheit hingeworfenen „Apostel-
martyrien“ muß man sagen, daß er sich getrost neben
Rubens und van Dyck stellen kann. Jedenfalls gibt es
in ganz Deutschland nichts, das sich nach Geist, Zeit,
Art und Format mit diesen Leistungen vergleichen ließe.
Michael Willmann ist einer der größten Barockmaler,
die Deutschland hervorgebracht hat, der weit über sei-
nen Zeitsfil hinaus, z. B. in dem Bilde des Abtes Bern-
hard Rosa, den Impressionismus vorausgeahnt hat. Es
führt von ihm eine direkte Entwicklungslinie zu der
Kunst seines großen Landsmannes und Kollegen im
19. Jahrhundert hin: zu Lovis Corinth.
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schlossen hatte.
Noch zu Willmanns Lebzeiten erstand ihm ein Bio-
graph in seinem Kollegen Joachim von Sandrart in
Nürnberg, dem Herausgeber der „Teutschen Akade-
mie“, mit dem er in Briefwechsel stand. Im 19. Jahr-
hundert sind weiter verschiedene Schriften über Will-
manns Leben und seine Werke erschienen, auch zwei
Doktorarbeiten über ihn gemacht und gedruckt worden.
Doch zu einer rechten Würdigung des Künstlers kam
es bisher noch nicht, vielleicht weil eine rechte An-
schauung von seinem Lebenswerke fehlte.
Die Verlebendigung seiner Kunst ist ihm jetzt erst
zuteil geworden in einer großen Ausstellung
im Museum der bildenden Künste in Breslau, das damit
sein 50jähriges Bestehen feiert. Im Treppenhause und
in sechs großen Sälen sind von überall her beglaubigte
Schöpfungen des Künstlers zum ersten Male vereint:
84 Gemälde, ferner Oelskizzen, Handzeichnungen und
Radierungen, wie man sie auf Jahrzehnte hinaus nie
wieder zusammen sehen wird.
Erstaunlich ist Willmanns Fruchtbarkeit und seine
Vielseitigkeit. Porträts hat er nur wenige geschaffen,
weil er sich weigerte, in die Breslauer Malerzunft ein-
zutreten und ihm deshalb das „Contrafeiten“ verboten
war. Aber neben den Bildnissen seiner Gönner Arnold
Freiberger von Leubus und des Abtes Bernhard Rosa
von Grüssau besitzen wir ein Selbstbildnis von 1682.
Aus den energischen Zügen einer robusten Gestalt
spricht die Animalität eines ungezügelten Temperamen-
tes. Er trägt einen modischen Lippenbart, wie sein
Zeitgenosse, der Dichter Andreas Gryphius, aber nicht,
wie dieser, eine Allongeperücke, die auch sein Lands-
mann Simon Dach, der Dichter des „Aennchen von Tha-
rau“, als fremden Tand verschmähte. Man versteht es,
daß dieser kraftvolle und sinnenfrohe Mensch anfangs
sich zu mythologischen Bildern hingezogen fühlte, daß
er eine „Venus mit Cupido und Vulkan“, den „Aktäon
und Diana“, eine „Marter des Marsyas“, „einen Raub
der Proserpina“ und „Europa“ auf dem Stier malte,
seine glücklichste und graziöseste Arbeit, wie einer sei-
ner Biographen geurteilt hat. In der Tat geht der Künst-
ler in diesem überaus feinfarbigen Bilde weit über seine
Zeit hinaus und nimmt eigentlich schon echte Rokoko-
stimmung vorweg. Vielleicht galt derartigen Bildern
seine ursprüngliche und stärkste Neigung. Aber er hat
sie später unterdrückt, als er Kirchenmaler geworden
war. Denn er war es gläubigen Sinnes und frommen
Herzens. Sonst hätte er mit seinen Tafelbildern nicht
einen so starken Eindruck machen können, wie er es
heute noch tut. Zwischen die Heiligenbilder und die
allegorischen schieben sich entzückende Landschaften
mit kleiner Staffage, wieder aus der Mythologie oder
der Bibel, in denen er sich von der düsteren Schwermut
seiner Vorgänger in der Landschaftsmalerei befreit und
nach italienischem oder besser französischem Vorbilde
einer farbig bunten Lockerheit zustrebt. Ein Bild wie
der „Traum Jakobs“, in dem die Engel auf der Leiter
in den Himmel klettern, ist von bestrickender Feinheit.
Angesichts aber der mit ungeheurem Pathos, erstaun-
licher Kraft und Sicherheit hingeworfenen „Apostel-
martyrien“ muß man sagen, daß er sich getrost neben
Rubens und van Dyck stellen kann. Jedenfalls gibt es
in ganz Deutschland nichts, das sich nach Geist, Zeit,
Art und Format mit diesen Leistungen vergleichen ließe.
Michael Willmann ist einer der größten Barockmaler,
die Deutschland hervorgebracht hat, der weit über sei-
nen Zeitsfil hinaus, z. B. in dem Bilde des Abtes Bern-
hard Rosa, den Impressionismus vorausgeahnt hat. Es
führt von ihm eine direkte Entwicklungslinie zu der
Kunst seines großen Landsmannes und Kollegen im
19. Jahrhundert hin: zu Lovis Corinth.
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