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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Eckhardt, Ferdinand: Emil Orlik als Graphiker: zu seinem 60. Geburtstag am 21. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0414

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Juliane zu Rantzau, weiß die malerischen Wirkungen
einer schwarz geschleierten Frau mit bloßer Nadel wie-
derzugeben, was der Künstler früher zweifellos mit
Zuhilfenahme der verschiedensten Werkzeuge, viel-
leicht auch von Aquatinta und Vernis mou zu erreichen
versucht hätte. Kein Wunder, daß sich Orlik daher
immer mehr auf zwei Techniken, die die einfachste Be-
handlung zulassen, verlegt hat, auf die Kaltnadelradie-
rung und auf die reine Kreidelithographie. Die fünf
Kaltnadelblätter in „Tilla Durieux, Spielen und Träu-
men“ (Flechtheim, 1922) zeigen die stärkste Ausdrucks-
kraft im Physiognomischen und schildern das kalte,
merkwürdige Wesen dieser Frau ebenso sicher, wie die
fünfzehn Radierungen „Aus Aegypten“ (Propyläen-
Verlag, 1922) das Wesentliche der orientalischen Land-
schaft. Mit kalter Nadel wird hier die größtmöglichste
malerische Wirkung herausgeholt, die starke südliche
Sonne durch den saftigen Strich wiedergegeben. Im
Getreidemarkt in Luxor ist durch den saftigen Druck
der kalten Nadel und des Rouletts eine farbige Wirkung
in Schwarz-Weiß erzielt, die früher nur durch
einen mehrfarbigen Druck selbst erreichbar gewesen
wäre. In den zwölf Radierungen nach seinerzeitigen
Skizzen der „Reise nach Japan“ (Bruckmann, 1921)
zeigt sich der Unterschied zu den fast zwanzig Jahre
älteren Blättern von der ersten Japanreise am deutlich-
sten. Der Strich ist hier abgerissener, nervöser, un-
ruhiger, oft auch temperamentvoller; die Aetzung
gröber als früher und verzichtet auf die feinen, fast lyri-
schen Reize. Die letzte Beherrschung aber zeigt sich,
wenn er in einem Kaltnadelblatt „Auf Ceylon“ verschie-
dene Rouletts verwendet, um die Schatten eines Bam-
buswaldes wiederzugeben. Aehnlich wie mit der Radie-
rung steht es auch mit den Lithographien dieser Jahre.
Die vierzehn einfarbigen Kreidelithos „Aus dem Reigen-
prozeß“ (Neue Kunsthandlung, 1921) sind improvisierte
Skizzen der Uaupttypen dieses Prozesses und durch

ihre meisterhaften Physiognomien eine große kulturelle
Anklage. Die lithographierten Schauspielerbildnisse aus
der Aufführung des Stückes „Vom Teufel geholt“ (Bruno
Cassirer, 1929) und die zehn Jahre älteren Schauspielcr-
bildnisse aus der „Büchse der Pandora“ (Neue Kunst-
handlung, o. J.) sind gleichfalls Skizzen mit dem Haupt-
nachdruck aufs Physiognomischc, während bei den zehn
Lithos „Studien aus Spanien“ (Bruno Cassirer, 1928)
auch wieder das Malerische voll zur Geltung kommt.
Der zarte Strich, die verschieden stark aufgedrückte
Lithographenkreide und das dadurch entstehende Korn
ist reizvoll verwendet, wie zum Beispiel in dem farbi-
gen Blatt eines Sevillaners. Die „Bildnisse von Gerliart
Hauptmann“ (Rembrandt-Verlag) und die „Slevogtiana“
zum sechzigsten Geburtstag des Meisters (Bruno
Cassirer, 1929) sind hervorgegangen aus jahrelanger
Bekanntschaft mit diesen beiden Großen, letztere durch
die Betonung des Humoristischen an die besten Meister
des deutschen Humors grenzend.

Zwischen den hier aufgezählten Mappenwerken
sind unzählige Einzelblätter entstanden, in der Haupt-
sache Porträts: Kaltnadelarbeiten und Aetzungen. Auf
über 300 Exlibris kann im Rahmen dieses Aufsatzes
überhaupt nicht eingegangen werden. Dagegen sei auf
die als Ergebnis der Amerikareise von 1923 entstande-
nen zwei Riesenradierungen von Wolkenkratzern ver-
wiesen, die eine „762“ Fenster wiedergebend. In nüch-
terner Strichzeichnung, ohne jeden Anklang von male-
rischen Reizen und Sentimentalitäten ist hier versucht,
eine neue Kunstform zu finden, ausgehend von der kal-
ten, sachlichen Beobachtung und wirksam durch die
Vielfältigkeit, Ungeheuerlichkeit des Vorbildes. Diese
beiden Blätter, die mit der neuen Sachlichkeit ziemlich
wenig gemein haben, scheinen wie der Anfang einer
neuen Kunst. Wir warten mit Spannung, wie sich der
immer produktive, nie langweilende Meister weiter ent-
wickeln wird.

Orlik, Ein Sommertag

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