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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 13 (1. Aprilheft 1904)
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Weber, Leopold: Phantasiekunst
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Batka, Richard: Hugo Wolfs "Penthesilea"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0021

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stiele ,stotzen" ihre Hexenreiter ganz beträchtlich in hartem Galopp und
dokumentieren damit aufs überzeugendste ihre Bockroßhaftigkeit. Der
fchönen Lau in Mörikes „Hutzelmännlein" werden am Wassergrunde
tief drunten ihre Futznägel von der dienenden Nixe mit goldner Schere
geschnitten, wodurch wir einen interessanten Einblick in Ordnung und
Herrlichkeit des fürstlichen Quellenhaushaltes tun. Und unerschöpflich an
solchen „genauen" Wirklichkeitsmalereien ist Böcklin vom Bilde des
Kentaurenalten an, der sich mit seinem beschädigten Hufe kummervoll vom
Dorfschmied besichtigen läßt, bis zu dem bekannten Gemälde der Seeschlange
mit ihrem wunderbar dekorativ gemusterten Leibe. Freilich, Jronie in
ihrem Gefühle des überlegenen Jchs darf sich nicht mit dem leisesten Lächeln,
und wenn das Lächeln noch so freundlich überlegen wäre, in den humo-
ristifchen Ernst dieses Treibens mengen. Sonst wird mit dem Elemente
„von autzen her" das Vollempfinden einer künstlerischen Wirklichkeit so-
fort gestört, damit aber ginge der ganze tisfere Wert des ästhetischen
Spieles verloren. Und gar nichts haben mit diesem höheren Humor
jene Witze zu tun, die die Natur spatzhaft vergewaltigen, indem sie
etwa Kentauren ins Kaffeekränzchen und Löwinnen an den Strick-
strumpf setzen.

Bezeichnenderweise aber sind es gerade die Surrogate für die echte
Phantasiekunst, die sich der Beliebtheit des Publikums erfreuen. Und
zwar werden sie, wie die „sinnigen" Poesieen der Maikäferlpriker, nls
um so ursprünglicher empfunden, je „verständlicher" sie ihrem Verstandes-
ursprung entsprcchend sind.

Jch meine: hier gibt's für unsere ästhetische Erziehnng noch alle
Hände voll zu tun, wenn sie, was doch ihr Bestreben sein mutz, all
denen die Augen öffnen will, in denen die Gabe, phantastischem Schauen
zu folgen, auch nur, wie Spittelers Zeit, „verknäuelt schläft".

Leopold Weber.

tzugo Molks „Venlkesilea".

„Jch bin nun einmal ein Mensch von radikalsten Grund-
sätzen und Anschauungen. Oberstes Prinzip in der Kunst ist mir
strenge, herbe, unerbittliche Wahrhcit, Wahrhcit bis znr Gransam-
keit. Kleist z. B. ist mein Mann. Seine wunderherrliche »Penthe-
silea« ist wohl die wahrste, aber zugleich gransamste Tragvdie, die
je einem Dichterhirn cntsprungcn", schrieb Hugo Wolf im Juni sZIO
an Emil Kaufmann, und alle, die in näheren Beziehungen zu ihm
standen, wissen von seiner geradezu sanatischen Vorliebe für dieses
Kleistische Werk zn berichten. Er schwärmte dafür, seine Hände zit-
tcrten, wenn er nur ein paar Verse daraus las, sein Auge leuchtete,
und wie im Anblick einer höhcren und hellercn Region, deren Tore
plötzlich vor ihm aufgesprnngen waren, schien er verklärt. Es wäre
seltsam gewesen, wenn unter diesen Umständen der Zauber, den Pen-
thesilea auf den jungen, ihm heftig unterworfenen Mnsiker ausübte,
ihn nicht anch gereizt hätte, scine Empfindungen bei den Gestalten
und Versen seines Lieblingsdichters in Töne umzusetzen. Anf dem
Höhepunkte seiner Kleistbegcisternng, vom Sommer zum Herbst s883,

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Runsiwart
 
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