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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1904)
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Schultze-Naumburg, Paul: Das Individuelle - Haus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0135

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vas mclivicluelie — I)aus.

Es spukt nämlich immer uoch. Jch dachte schon, die Mode sei
vorbei, aber nun scheint cs mir, als wenn sie erst recht ihr „breites
Publikum" sände.

Da seit einiger Zeit das Wort individuell beliebt geworden
ist, wird es oft sehr tiefsinnig verwendet. Das „individuelle Haus"
hat solchen Anklang gefunden, daß es als gangbarer Artikel beinahe
schon fix und fertig zu beziehen ist. Und es gibt ja keinen Unsinn,
der so groß wäre, daß er nicht nachgeschwatzt würde.

Das Haus als Jndividuum, d. h. das einzelne Haus innerhalb
der Gattung „Haus" konnte nicht gemeint sein. Denn in dem Sinnc
war ja von je ein jedes Haus, wie eben ein jedes andere Ding auch,
ein Jndividuum. Das „individuelle Haus" ist aber eine „Errungcn-
schaft der Neuzeit". Man kann deshalb mit dem Wort nur ein Haus
meinen, das in bezug auf seine Bewohner „individualisierend" behan-
delt ist, das sich also in seinen Einrichtungen und Formen einem,
bestimmten Menschen, dem Jndividuum, aufs engste anschließt, und
zwar, auf ganz unerhört genaue Weise, gerade diesem Einzelindividuum.
Denn daß sich jemand sein Haus nach eigenem Geschmack und seineu
Neigungen erbaut, das war ja am Ende auch vor hundert oder
tausend Jahren nichts unerhört Neues.

Nuu scheint mir aber: ein Menschenhaus ist eigentlich keine Höhle
für einen Maulwurf, der zeitlebens den Einsiedler spielt. Jm allge-
meinen ist doch das Haus die Wohustätte für die Familie, ja, für
ciue Generation von Familien, denn niemand wird sein Haus in
bem Gedanken bauen, daß es mit seinem Tode in Trümmer bräche.
Man sieht, daß man sich mit seinem „individuelleu Haus" die schöuste
eoutraäiotio in aäjsoto zusammengezimmert hat, denn Familie bedeutet
eine Summe vou Jndividuen, eine Menschengemeinschaft, ist also eine
Sozialform und bildet zu dem Einzelindividuum insofern eine Art
Gegensatz.

„Aber neiu", sagt nun der andere, „seien Sie doch nicht so
genau. Sie haben sich doch selbst ein Haus gebaut, und das ist Jhnen
ja ganz auf den Leib zugeschnitten. Wollen Sie auch da das Wort
vom individuellen Haus abstreiten?"

Ja, auch hier haltc ich das Wort nicht allein für einen gedanklichcn
Schnitzer, sondern auch für einen Wegweiser zu sachlichen Verirrungen.
Mein 'Haus liegt auf dem Lande, ist also ein Landhaus. Es hat eine
große Künstlerwerkstatt und ist deshalb ein Haus für einen bildenden
Künstler. Es gehört also zu der Gattuug der Landhäuser für bil-
deude Künstler, genau so wie etwa ein Gut durch seine Stallungen
und Wirtschaftshäuser in die Klasse der landwirtschaftlichen Gebäude
gehört. Und Landwirtshäuser gibt es doch schon eine Ewigkeit, ohne
daß sie als individuelle Häuser hätten genannt werden müssen. Man
nannte sie bis jetzt immer ganz schlicht Gutshäuser.

„Nun", sagt mein Opponent, „aber in der allgemeinen Gattung
der Künstlerhäuser ist das Jhre eben doch wieder individualisiert durch
die besondere Werkstattanlage, durch seine Größe uird Lage, durch
seine Nebenräume usw."

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Kunstwart
 
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