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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 22 (2. Augustheft 1904)
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Heberlin, ...: Körper-Kultur
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Bartels, Adolf: Das Ende der "Moderne"?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0504

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noch heute. Der Kulturmensch dagegen strengt sich noch in der Ruhe
unnötig an. Phhsiologen haben ausgerechnet, daß zwei Damen, die
„in bequemster Pose" in ihrem Wagen fahren, dabei eine solche Zahl
durchaus zum Ausruhen unnötiger Muskeln anspannen, daß die sol-
cherweise verschwendete Energie genügeu würde, den Wagen ihrerseits
fortzubewegen.

Schließen wir mit dieser ebenso sonderbaren wie bezeichnenden
Tatsache unsre Zeilen. Es war nicht ihr Zweck, die Wege zur Hilfe
im einzelnen aufzuzeigen, es war ihre Absicht, auch die Leser des
Kunstwarts darauf hinzuweisen, daß auch hier eine Gefahr, daß hier ein
Mißstand ist. Geht es so weiter, so entartet unser Geschlecht, neiu,
es ist schon tief im Entarten darin, und wir müssen sagen: geht es
so weiter, so wird die Rettung unmöglich. Die Erkenntnis des Uebels
ist der Beginn der Umkehr, noch aber wird die ernste Gefahr
der Sache nur von Wenigen erkannt. Wem Kunst der Ausdruck der
Natur ist, wer diesen Ausdruck Pflegt, um das rein und gesund zu er-
halten oder zu erlangen, was er ausdrückt — der muß neben unserm
Höchsten, der Geisteskultur, auch die Edelhaltung des Körpers, der
die Seele trägt, als eine Aufgabe seiner Kultur erkennen.

Heberlin.

Oas Cncle äer „sVloclerne"?

Seit einiger Zeit mehren sich die Stiminen, die von einem Ende der

„Moderne" sprechen — und auch ich bin der Ansicht, daß sie recht haben.

Jch möchte aber unter „Moderne" keineswegs die gesamte moderne Literatur-
bewegung begriffen wissen, sondern nur diejcnigen Entwicklungen in ihr,
die sich anheischig machten, absolut Neues zu briugen, die den Zusammen-
hang ihrer Bestrebungen und Leistungcn mit der Vergangenheit vor s880
leugneten und beanspruchten, allein Gegenwart und Zukunft zu scin.
Es ist klar, daß solche Entwicklungen beendet sind, sobald ihre Träger keine
mehr haben, sobald sie sich „ausgegeben" habcn, wie der Ausdruck im ge-
meineu Literaturjargon lautet. Trifft das heute bei dcn Vertretern der

„Moderne" in dem bczeichneten Sinne nicht zu? Wir erwarten von ihnen

keine Entwicklung mehr, nichts „Neues" mehr, wir kenncu sie gcnau, könneu
sie charakterisieren, beurteilen, klassifizieren — sie sind „sertig" für uns.
Nun enthält aber jede literarische Entwicklung auch ein „ewiges" Moment,
und das ist selbstverständlich auch beim Naturalismus und Symbolismus
nicht überwunden, die ja nie zum Stillstand kommcnde allgemeine Literatur-
bewegung profitiert uoch von ihm. Weiter kann etwas in der Entwicklung
fertig sein, aber darum doch seine stärkste Wirkung noch vor sich habcn.
Äas will ich bei den moderncn Entwicklungcn nicht gerade prophezeien,
aber „tot" sind sie doch keineswcgs, eben nur „fertig" im eigentlichen Sinne
des Wortcs.

Oder glaubt jemand wirklich, daß es mit der Wirkung Hauptmanns
und Halbes, Liliencrons und Dchmels nun aus sei? Es gibt ja freilich
Leute genug, die lebende Dichter, sobald sie nicht mehr enthusiastische Erfolge
haben oder gar Niederlagen erleiden, als tote Löwen mit dcm üblichcn
Eselstritte regalieren, und namentlich Hauptmann hat sehr böse Erfahrungen
mit seinen früheren Freunden machen müssen. Aber jeder vernünftige Mann

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Runstwart
 
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