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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 23 (1. Septemberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0584

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I.08S Vlättsr.

Kus I^erniLnri lyesses „peler LsnienLinä".

Borbemerkung. Und wieder ein neues gesundes Erzählertalent! Denn
wenn Hermann Hesse auch schon verschiedenes geschrieben hat, erst dieser
Band legt aus die Frage nach seiner Kraft die Antwort fest. Und wiederuni
ein Talent ans der Nähe der Heimatskunst. Jst's nicht erstaunlich, wie
viele Keime dicse Bewcgung der Geisteslnfte weckt? Man ist versucht, sie
mit dem Föhn zn vergleichen, von dessen frühlingbringendem Brausen gerade
Hesse so schön zu erzählen weiß. Und wieder cin Heimatsbuch ohne geistige
Enge seines Verfassers.

Aus seinem Dörfchen, das zwischen den Felsen eines Schweizersees
klebt, kommt Peter aufs Gymnasium und dann auf die Universität nach
Zürich, eiil Stückchen weit auch nach Jtalien, zu allerhand Menschenkindern,
möchte dichten, schriftstellert, verliebt sich ein paar Mal und befreundet sich
ein paar Mal, kommt wieder zurück und wird wohl daheim bleiben. Eine
bescheidene „Handlung", in der sich der tiefe Zug nach Natnr, der unsere Zeit
auch als solch ein keimeweckender Föhn dnrchweht, einfach ausdrückt. Alle
Blätter des Buches beben in ihm. Jn ihm und in der Liebe znm Mit-
menschen, anch zum „unbedeutenden", auch zum „ungebildeten", die ja eigcnt-
lich auch nur eine seiner Formen ist. „Peter Camenzind" heißt cine der
besten Gaben aus dcr Nachfolgerschaft Gottfried Kellers. Wir möchten, daß
man es lese, und reden deshalb darüber nicht mehr viel, da wir als Probe
gleich den Anfang geben können, der keine Einführnng braucht.

Das Buch ist bei S. Fischer in Berlin erschienen.

Jm Anfang war der Mythus. Wie der große Gott in den Seelen
der Jnder, Griechen nnd Germanen dichtete und nach Ausdruck rang, so
dichtet er in jedes Kindes Seele täglich wieder.

Wie der See und die Berge und die Bäche meiner Hcimat hießen,
wußte ich noch nicht. Aber ich sah die blaugrüne glatte Seebreite, mit
kleinen Lichtern durchwirkt, in der Sonne liegen und im dichten Kranz
um sie die jähen Berge, und in ihren höchsten Nitzen die blanken Schnee-
scharten und kleinen, winzigen Wasserfälle, und an ihrem Fuß die schrägen,
lichten Matten, mit Obstbäumen, Hütten und granen Alpkühen besetzt. Und
da meine arme, kleine Seele so leer nnd still und wartend lag, schrieben
die Geister des Sees und der Berge ihre schönen kühnen Taten auf sie.
Die starren Wände und Flächen sprachen trotzig und ehrfürchtig von Zeiten,
deren Söhne sie sind und deren Wundmale sie tragen. Sie sprachen von
damals, da die Erde barst nnd sich bog nnd aus ihrem gequälten Leibe
in stöhnender Werdenot Gipfel nnd Grate hervortrieb. Fclsberge drängten
sich brüllcnd und krachcnd empor, bis sie ziellos vergipfelnd knickten, Zwil-
lingsberge rangen in verzweifelter Not nm Raum, bis einer siegte und
stieg und den Bruder beiseite warf und zerbrach. Noch immer hingen von
jenen Zeiten her da und dort hoch in den Schlüften abgebrochene Gipfel,
weggedrängte nnd gespaltene Fclsen, nnd in jeder Schneeschmelze führte der
Wassersturz hausgroße Blöcke nieder, zersplitterte sie wie Glas oder rannte
sie mit mächtigem Schlage tief in weiche Matten ein.

Sie sagten immer dasselbe, diese Felsberge. Und es war leicht, sie
zu verstehen, wenn man ihre jähen Wände sah, Schicht nm Schicht geknickt,

§74

Runstwart
 
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