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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 13 (1. Aprilheft 1904)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0040

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Die Heimat.

Das Meer der Ewigkeit glänzt in der Abendsonne.

Der Tod sitzt am heimischen Strand. Den Wanderstab zwischen den
Knieen rastet er wegemüd, dcn bleichen Kops auf die Seite geneigt.

Vom Land her, aus nebliger Ferne, hallc's dumpf-verworren herein
in die sonnige Stille. Zu seinen Füßen aber tönt leis an den Sand hin die
Flut, draus lispelt's und lallt's in verlornem Geflüster, daS Traumgemurmel
der Seelen, die im ewigen Meere versanken.

Der Morgen schauert auf und erblaut. Der Arem Gortes weht von der
Unsndlichkeit her über die blitzende Flut.

Da schwillt aus den Tisfen des Meeres die Sehnsucht, da drängt sich's
dämmerhell aus den Wasscrn, ein Wimmelheer von Gestaltcn.

Und der Tod kniet schwarzverhüllt an dem Strand.

Kunctscksu.

ti-iterarrir.

H „Kleists Grab am Wannsee,
das nun bald hundert Jahre die
Gebeine des vaterländischen Dichters
birgt, wird demnächst auch der un-
aufhörlich fortschrcitenden Banlust
dcs Berliner Westens und sciner Vor-
orte Platz machcn müssen. Das Wald-
tcrrain, auf dcm der Hügel licgt,
gehört dcm Prinzen Fricdrich Leo-
pold von Prcußen, und dieser hat
sich entschlossen, es noch im heurigen
Somnier parzcllicren und als Ban-
grund abgebcn zn lassen."

So etwa melden die Zeitungen,
meldeten sie schon vor einigen Wo-
chen, ohnc daß dic Nachricht bisher
widerrufen wordcn wäre. Wir geben
die Hoffnnng, daß das trotzdem noch
in letzter Stunde geschehe, nicht anf;
immerhin darf jetzt keine.Zeit mchr
verloren und keine Gelegcnheit ver-
paßt werden, dem Erstaunen, das
jene kalte Zcitnngsnachricht errcgt
hat, auch öffentlich Ausdrnck zu gebcn.
Die Gemeinde Wannsee hat sich cr-
boten, die ausgegrabencn Gebeine
des Dichters auf ihrem Fricdhof wnr-
dig aufznnchmen; cin Berlincr Jour-
nalistenverein hat cine Eingabe an
den Landrat des zuständigcn Kreiscs

gcmacht, man möge dein Dichter ir-
gendwo eine „neue würdigc Ruhe-
stätte" anweiscn — mit dcm still-
schweigenden Zugeständnis schon,
wie's scheint, daß die Ueberreste der-
jenigen, die mit dem Vcrzweifclten
gemeinsam in den Tod gegangen
und deshalb auch gemeinsam mit ihm
bestattet worden ist, vielleicht von
den seinen getrennt werden sollen.
Dieser Eifcr sieht löblich aus; im
Grunde aber zeigt er doch nnr, wie
jämmcrlich bcscheidcn wir geworden
sind, wo es sich um die Vertretung
ciner literarischen Pietäts- nnd An-
standssache gcgenülier den Mächten
dieser Erde handelt. Uni es kurz zu
sagen: nicht irgcnd eine andere
„neue" oder „würdige" Nuhestätte
erbetteln wir von dem, der über
Fortbestehen oder Verschwinden des
hundertjährigcn Kleistgrabcs zn ent-
scheiden hat, sondern wir crlauben
uns, ihn an das zu erinnern, was
uns einem Kleist gegenüber als seine
Pflicht erscheint. Das Grab hat, so
schcint uns, dort zu blciben, wo es
ist, dort, wo der Dichter sclbst sich,
mehr aus Gram um sein Vaterland
als ans Verzweiflung an sich und

U Aprilbeft rgo-z
 
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