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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 18 (2. Juniheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0300

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I^ose klätter.

Zus LiUencrons Oickrungen.

Vorbemerkung. Wir haben schon mehrmals, zuletzt auf den
umfangreichen „Losen Blättern" der Kunstwarthefte XII, s2 und XVII, 2
Zusammenstellungen Liliencronscher Gedichte gebracht, auf sie weisen wir
heute zurück, nicht wiederholend, nur ergänzend. Was wir heute an Versen
bringen, ist Lis auf das Stück aus „Poggfred" dem Gedichtbande „Kampf
und Spiele" entnommen, was wir an Prosa bringen, den „Kriegsnovellen",
natürlich mit Ausnahme der Skizze „Heranziehendes Gewitter", die dem
Bande „Roggen und Weizen" entstammt. „Sämtliche Werke von Detlev
von Liliencron" erscheinen just in neuer Ausgabe bei Schuster L Loeffler
in Berlin.

ölri cker Mttagsstuncle.

Zwischen zwölf und ein Uhr stand die Schlacht. Auf einem Hügel,
neben einem einsamen, brennenden Hause, aus dcm die Bewohner ge-
flohen waren, hielt der Oberbefehlshaber, die Hände kreuzweise übereinander
auf dem Sattelknopf haltend, regungslos seit einer halben Stunde.

Der Stab stand gedeckt hinter dem Hause. Von allen Seiten, in
rascher Aufeinanderfolge, kamen und ritten ab auf triefcnden Pferden
Adjutanten, Ordonnanzoffiziere und Ordonnanzen, um zu melden. Den
Ordonnanzen war die Meldung schriftlich mit Blei gegeben. Der General
schob die kleincn vierkantigen Zettel in die Satteltasche, ohne einen der
hinter ihm haltcnden Offiziere heranzuwinken. Noch immer hielt er regungs-
los; nur zuweilen den Krimstecher gebrauchend oder in die Karte blickend.
Sein großer Dunkelbrauner kaute unaufhörlich den linken Trensenzügel,
ab und zu mit dem Kopfe nickend. Eine Granate krepierte zwischen uns
und riß einen Hauptmann vom Stabe in Stücke. Sein Pferd bäumte hoch auf,
schlug mit den Vorderhufen in die Luft, und brach dann, gräßlich zerschmettert,
zusammen. Wir waren alle unwillkürlich auf einen Augenblick auseinander-
gesprengt. Ein Offizier eilte zum General, um ihm den ToÄ des von
ihm sehr hoch gehaltenen Hauptmanns zu melden. Der General blieb reg-
ungslos; nur klopste er seinem, durch den furchtbaren Knall unruhig gc-
wordnen Pferde den Hals, und ritt einmal eine liegende Acht.

Die Suite stand wieder auf demselben Fleck. Auf die entsetzlich ver-
stümmelte Leiche breitete eine Stabsordonnanz ein vor dem brenncndcn
Gebäude liegendes buntes Bettlaken. Um das Bettlaken herum waren hin-
geworfen eine Kaffeemühle, ein Bauer mit einem Kanaricnvogel, der piepte
und lustig, selbst in der schiefen Lage, scin halb verstreutes Futter nahm.
Vor dem Hause lagen serner Bücher, Tassen, eine Frauenmütze, zerbrochne
Vasen, Bilder, Kissen, eine Zigarrentasche mit einer Stickerci, ein Kamm,
eine Zuckerdose und tausenderlei sonstige Hausgeräte und nützliche und nicht-
nützliche Gegcnstände.

Verwundet war sonst keiner von uns. Die Granate mußte auf dcm
Sattelknopf des Pferdes des Hauptmanns zerplatzt sein. Ab und zu schwirrte
eine verlorne Gewchrkugel mit pfcifendem Tone über unsre Köpfe. Eine
schlug in den Gartenzaun ein. Klapp! klang es leicht. Wie ein Specht-
schnabelhieb.

Der General hielt regungslos. Sein ernstcs, durchgeistigtes, feines
Gesicht war blaß. Je mehr es in ihm arbeitete, je mehr beherrschte er

2. Fumheft 1904

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