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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 15 (1. Maiheft 1904)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0156

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erhob sich noch einmal das goldne Bild, von dem ich mich nun trennte,
vor meinem Geiste.

Jch wandte mich ab: Hier bin ich. Jch halte Wort. Jch komme gern,
denn ich bin miide.

Und aussehend zu dem Kreuz, dessen Schatten in der Dunkelheit auf-
ragte, und darnber hinausschauend nach dem hin, der einst an einem Kreuze
gestorben war, sagte ich: Jch nehme mein Kreuz auf mich. Hilf du mir's
tragen.

Vorüber, vorüber! Jch reiste Tag und Nacht, bis ich am Ziele war.
Dort ging ich hin und forderte mein Recht.

LUterstur.

Kundscksu.

H Bücher aus dem Eng-
l i s ch e n.

Briefromane scheinen wieder ein-
mal beliebt zu werden. Sie waren
es lange Zeit nicht, so wenig wie
die Lyrik, der sie näher stehen als
irgend eine Art epischer Poesie. So
scheinen die „Liebesbriefe eines
englischen Mädchens" (Leipzig,
Jnselverlag, H Mk.), denen eine un-
gewöhnliche Verbreitung durch Eng-
land nachgesagt wird, dort eine ähn-
liche Wandlung des Geschmacks ein-
geleitet zu haben, wie bei uns das
lyrische Brieftagebnch der Baronin
Heyking. Man kann solchen Wand-
lungen sehr skeptisch gcgenüberstehen,
sie mit ziemlicher Sicherheit auf das
ewig rege modische Bedürfnis nach
Abwechselung zurücksühren und den-
noch Gcfallen an einem solchen Mode-
buche finden, wcnn cs nur mehr gibt,
als die Mode verlangt. Auch Wer-
ther war einmal Mode. Dieses eng-
lische Mädchenbuch enthält das Aller-
einfachste und Häufigste, was ein
Roman enthaltcn kann: cin Verlöb-
nis, ein paar Mondc leidenschaftlicher
Licbe und ein wehklagendes Ausein-
andergehn vor der Vereinigung. Es
gibt für die Verfasserin keine „Pro-
bleme" außer dem einen: „Du lisbst
mich, du liebst mich! Wie wunder-
voll du bist! Wie wundervoll sind
wir beide, du und ich!" Aber wie
trivial diese Versicherung dem nüch-

ternen Sinne vorerst auch erscheinen
mag, — sie wird in immer neuen
Formen, durch hundert nichtige An-
lässe des Tages hindurch, so leiden-
schaftlich beredt und anschaulich ge«
steigert, daß man schon vom inbrün-
stigen Liederschlage des Singvogels
im Frühling sprechen muß, wenn man
gerecht vergleichen will. Und troh
dieses melodischen Ueberschwanges,
trotz der ganz nach innen gekehrten
Mädchenphantasie keine Gefühls-
dusclei, kein Ausbaden in Gefühlen,
dazu ist die innere Bewegung zu ge-
sund und stürmisch. Jch möchte dcm
englischen Herausgeber einstweilen
glauben, daß dieses Mädchen nicht
fürs Publikum, sondern nur für ihren
Geliebten geschrieben hat. Sie würde
ein zweites Buch von gleich natur-
hafter Form kaum schreiben können,
so wenig wie die Amsel ein anderes
Lied singen kann, als das eingeborne.
Die Uebersetzung liest sich wie ein
Original.

Daß die Originalausgabe von
Oskar Wildes „Granatapfelhaus"
(Jnselverlag, 7Mk.) in England ver-
griffen ist und teuer bezahlt werden
muß, verstehe ich nicht. Es scheint,
die prüde englische Gesellschaft hat
sich bci ihrem sittcngestrengen Boykott
gerade dieses Buches ausschließlich
von Rücksichten auf die Person des
Dichters, nicht aber von der Kenntnis
der Sache bestimmen lassen. Wilde

t2S

t. Ukaiheft tyoi
 
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