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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 18 (2. Juniheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Liliencron
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Freimark, Hans: Vom Harmonium
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0294

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daß es einer so macht. Jn unsrer Zeit aber liegt weiß Gott die
Gefahr zu vieler Kultur näher als die zu vieler Natur. Und noch
etwas gibt er uus, was mit seiner Gesundheit zusammenhängt und
was wir, ach, auch so gut brauchen können: wie ties er trauern
mag, er „macht's ab", er „kommt durch", er findet immer den Froh-
sinn wieder, der seine Grundstimmung ist, ebeu weil er gesund ist,
und der ihm, ich wette drauf, als die eigeutlich mäunliche Stim-
mung erscheint. Hurrah Liliencron! Wir dürfen ihn heut wieder
grüßen mit dem alten Gruß. Für ihn: Hurrah Lilieucron! Und mit
ihm: Hoch das Leben! A.

Vc>ni stzarmonium.

„Kennen Sie das Harmonium?"

„Ach, Sie meinen die Hausorgel!"

So hört man fast stets, wenn vom Harmonium die Rede ist.
Die Wenigsten, die Mehrzahl der Künstler nicht ausgenommen, wissen,
daß durch das Harmoninm eine ganz eigenartige, gewissermaßen neue
Knnstrichtung geschafsen worden ist, die aber bis jetzt im Verborgenen
geblüht hat. Zumeist wird das Harmonium nur als Orgel-Ersatz,
sogar als einer, den man mehr der Not gehorchend in Kauf nimmt,
benutzt. Aber die Schönheit und Eigenart des Harmoniums kommt
gerade bei einem Choral kaum zum Ausdruck. Ein geeignetes Pra-
ludium, etwa in freierem Stil, der die dynamische Ausdrucksfähigkeit
dieses Jnstrumentes entwickelt, zeigt es uns schon von der besseren
Seite. Dennoch ist die Kirche nicht der Ort, wo sich die neue Kunst
entsalten könnte, die mit orchestralen Klangwirkungen rechnet.

Denn in Wahrheit verfügt das Harmonium über eine Machtfülle
und Ausdrucksfähigkeit, die in Erstaunen setzt. Es gibt einen Abglanz
von dem ganzen Klangzauber des modernen Orchesters. Wie zart
und schwebend erklingen die Pianostimmen, als hauchten Engelschöre
ihre süßen Harmonieen, und mit welch dramatischer Wucht ertönt das
volle Werk! Der Ton des Klaviers entbehrt der Dauer, wäh-
rend der Harmoniumton von unbegrenzter Länge und jeder einzelne
Klang vom leisesten kiano bis zum stärksten bdrts anschwellbar ist.

Förmliche „Landschaftsmalerei" wird hier in Tönen getrieben,
die anf dem Klavier nie nnd nimmer möglich wäre. Sowohl nordische
Motive dienen dem Komponisten zum Vorwurf, wie auch die üppige
Glut einer südlichen Sonne in vielen dieser Tonstücke zum Ausdruck
kommt. Töne dringen ans Ohr, wie es sie nie sonst vernommen.
Ungeahnte und verblüffcnde Effekte, wie Lufttriller, wogendes und
schwcllendes Rauschcn, ja selbst Tambourinschläge liegen hier, wenn
ich so sagen darf, zwischcn den Noten verborgen; die seltsamsten
Dissonanzen verschmelzen infolge der akustischen Wirkung eigenartigcr
Ncgistermischungen zn den wunderbarsten Ohrensensationen. Sind
doch selbst Walzer vom Harmonium nicht ausgeschlossen!

Das Harmonium ist eben das zweihändige Orchester des
Hauses, mit dem wir uns Genüssc verschaffen können, die sonst
einen Konzertbesuch erheischen. Das Klavier vermag gewisse Werke
unserer großcn Meister technisch nicht annähernd so eindringlich wieder-
zugeben, wie das Harmonium. Alles Orchestrale muß für das Klavier

2. Iuniheft 1A04

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