Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1904)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0264

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jndrik: Schöne Mäusc! Das ist die Verliebtheit, die so die Mäd-
chen haben, sonst nichts.

Orti: Das kann wohl sein. (Sie setzt ihm den Hut auf.) Schön
bist du, ach du mein! Und groß! Wenn ich an deinen Mund reichen will,
dann muß ich mich strecken, wie wenn ich das Brot ganz oben vom Bord
heben will, meiner Seele!

Jndrik: Nu ja. Jch bin doch der größte in Maisad.

Orti: Soll ich — soll ich mal versuchen?

Jndrik: Was dcnn?

Orti: Anznreichen — da —

Jndrik: Meinetwegen. (Orti stellt sich aus dic Fnßspitzen und
küßt Jndrik.)

Orti: So! Und nun wollen wir ganz wic die andern gehn, auch
so lustig. Wo ist deine Hand? (Sie nimmt seine Hand, legt sie auf ihre
Schulter, schwcnkt einen Birkenzweig.) Und singen wollen wir — so laut,
daß alle Füchse es hören — nich?

Jndrik: Fang' nur an.

(Sie gehen nmschlnngen nnd singend nach rcchts ab. Jndrik und
Orti singen:)

Nachtigall ist cingcschlafen
Anf dcm alten Wcidenbanm
Ligo — ligo.

(Orti jauchzt auf. Der Vorhaug fällt.)

Klmäsckau.

Hllgerneineres.

jK „Erwirb es, um es zu
besitze n."

Eine verbrcitete Vorstellung über
den Fortschritt dcr Kultur im Ge-
samtcn und anf dcn einzelncn Ge-
bieten ist die, daß die verschiedenen
Epochen ihre besonderen Aufgabcn,
sozusagen Pensen abarbeitcn und die
jcweilige Gcgenwart die Erbin aller
dicser Errungcnschaften ist. Leider
trifft das nur wenig zu. Es bildet
sich nicht einfach im Laufe dcr Zei-
ten cin immer größerer Reichtum
der Fähigkeitcn aus, sondern oft tritt
die neu erstrebte der bisherigen fcind-
lich gegenüber. So hat, nm ein Bci-
spiel aus der bildcnden Kunst zu
nehnicn, die Renaissance den Sinn
für Wäude und Fresken bis in unsre
Tage hincin vernichtet, ja die bloße

Fähigkeit in größerem Maßstab, d. h.
über den 'Rahmeu eincs Gemäldes
hinaus, farbig zu sehen.

Bedenklicher ist mitunter, wie
man die Errungenschaften srüherer
Epochcn festhalten zu können und zu
sollen meint. Wie unsere Prediger
uns das Sittengesetz des Judentnms,
die Dreieinigkcit dcr gricchischen
Kirche, die Genngtuung des Anselm
und die Rcchtfcrtigung Luthers auf
glcicher Fläche aufgetragcn anbieten,
so baut man uns nebcneinander by-
zantinischen, romanischcn, gotischeu,
Renaissance-, Barock-, Rokoko- nnd
Empirestil, oder kombiniert sie gar
an cin und demselben Bauwerk. Oder
man zeichnet heute im Dürerstil mit
knittrigen Gewändern oder man malt
mit gelbem Rembrandtlicht.

Aber Errungenschaften, die fest--

t. Iunibeft tyo-t

209
 
Annotationen