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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0663

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davor gesessen habe. Lang blickte sic gedankenvoll die Tasten an, die er
znletzt berührt, dann drückte sie leise den Deckel zn und zog den Schlüssel
ab, in eifersüchtiger Sorge, daß sobald keine andere Hand wieder öffne.
Jm Weggehn stellte sie beiläufig einige Liederhefte an ihrcn Ort zurück;
es fiel ein älteres Blatt heraus, dic Abschrift eines böhmischen Volkslied-
chens, das Franziska früher, auch wohl sie selbst, manchmal gesungen. Sie
nahm es auf, nicht ohne darüber betreten zu sein. Jn einer Stimmung
wie die ihrige wird der natürlichste Zufall leicht zum Orakel. Wie sie es
aber auch verstehen wollte, der Jnhalt war derart, daß ihr, indem sie die
einfachen Verse wieder durchlas, heiße Tränen cntfielen.

Lin Tännlcin grünct wo,
ll)er weiß, im Maldc;

Lin Rosenstranch, wcr sagt,

In wclchcm Gartcn?

Sic sind erlcsen schon,

Dcnk' cs, o cheele,

Anf dcinem Grab zn wnrzcln
Und zn wachsen.

Zwci schwarzc Wßlein weiden
Auf der Wiese,
chic kehren heiin znr Äadt
Zn nmntcrn Sprnngen.

Sie wcrdcn schrittwcis gehn
Aiit deiner Leiche;
viclleicht, viellcicht noch eh'

An ihren bsnfen

r Das Tisen los wird,

Das ich blihcn sche!

^ AunctsckLU.

G Mit Büchern über Mörike
ist es merkwürdig zugegangen. Jahr-
zehntelang gab es überhaupt keine,
dann aber crschienen zwei zicmlich
gleich starke Bände über den Dichter,
im Jahre lstOs, fast ganz zu gleicher
Zeit. Und was noch merkwürdigcr
ist: Harry Mayncs „Eduard Mö-
rike" (Cotta) und Karl Fischers
„Eduard Mörikes Leben und Wcrke"
(Berlin, Behrs Verlag) sind beide
gut — wir wüßten wirklich nicht,
welches wir ohne weiteres mehr
empfehlen könntcn, als das andre.
Wollte man sagen, daß Maync mehr
für literarisch und auch literatur-
geschichtlich „Jnteressierte", Fischer
mehr für einen weiteren Kreis von

Gebildeten geschrieben hat, so träfe
auch das nur mit Einschränkungen
zn, denn wcnn Fischer den Besprcch-
ungen der einzelnen Werke weniger
Raum widmct als Maync, so scheint
ihm das Quellcnmaterial in manchcr
Beziehung noch reichlicher zn fließen.
Fischers Buch ist auch illustriert.
Wer's kann, wird beide Werke lcsen;
vor langweiligcn Wiederholungcn
sicher, wird er gcrade an der Spiege-
luug der Dinge dnrch zwei ver-
schiedene verständnisvolle Persönlich-
keiten noch eine besondcre Freude
habcn.

P Die Sprache im moder-
nen Drama wird wieder einmal
vor Gericht geladen. Wieder einmal,

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