Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1904)
DOI Artikel:
Heberlin, ...: Körper-Kultur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0499

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kultur ist das Schlagwort uusres Jahrhunderts. Jede Nation
sucht ihren Ehrgeiz darin, kultiviert, womöglich höher kultiviert als
audere Nationen zu sein. Jeder Stand, jedes einzelne Jndividuum
ist stolz auf seine „Bildung", und niemanden darf heutzutage uu-
gebildet nennen, wer nicht eine Beleidigungsklage riskiercn will.
Aber sonderbar, — nicht einer von denen, die so eifersüchtig
auf den Besitz von Kultur, von Bildung sind, denkt dabei an etwas
anderes, als seine geistigen oder allenfalls sittlichen Eigenschaften.
Und doch umfaßt ja das Wesen der Kultur alle Lebeusäußerungen
des Menscheu — auch die körperlichen.

Der fachmännisch sehr hochwertige Gelehrte dient dem Kultur-
Jdeale nicht, so lange er die seinem besouderen Gebiet fernliegenden
Erscheinungen uicht zu würdigen weiß, so lange er, wic Goethe sagt,
„neben Ausbildung seines besonderen Wescns nicht den Begriff zu
erlangen sucht, was alle zusammen sind." Daran zweifelt uiemand.
Aber er strebt dicsem Jdeale auch nicht nach, weun er den Rücken
krumm sitzt, die Brust eiudrückt, die Gebrauchsfähigkeit ganzer Körper-
gebiete einschränkt und einbüßt. Und das ist uns gewöhnlich viel
weuiger bewuszt. Wir sehen alle Stäude und alle Lebensalter nach
irgend einer bcsonderen oder auch nach allgemeiner Geistesfertigkeit
streben, den Leib aber veruachlässigen, ja verachten.

Aeoneu von Jahren lag der Erdball und trug unzählige Ge-
schlechter von Tieren und Pflanzen, trug Frost und Feuer, sah Winter
und Sommer; Tausende und Millionen von Formen der lebenden
Natur kamen und gingen, bis die Form gefunden war, die höher
war, als sie alle, bis der Mensch erschien. Die mächtigeu Unge-
heuer der Vorwelt, die mit ihm die Wälder und Täler iu grauer
Zeit bewohnten, sie sind verschwunden. Jhre plumpeu Riescngeskalten,
mit furchtbaren Waffen, mit gewaltiger Kraft bewehrt, sind dahin;
die schlanke, so wehrlos schcinende Gestalt des Mcuscheu hat sie über-
dauert, durch die Jahrtausende sich erhaltend, sich entwickelnd vom
wilden Höhlenbcwohner mit flacher Stirn, mit mächtigen Kiefern

2. Augustheft ^Io^ HOZ
 
Annotationen