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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Batka, Richard: Mörike und die Musik
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Krauß, Rudolf: Eduard Mörike im Bilde
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0639

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aber nichts von der Rosenglut, von dem Jubel, von dem Maienhauch,
von all dcm, was aus des Dichtcrs Worten überströmt. Es bestätigt
sich auch hier wieder die seltsame Erfahrung, daß bei Gedichten, die
schon in der Wortsprache mit Musik gesättigt sind, bei denen nnsere
Phantasic Musik mitzuhören glaubt, üie wirkliche Musik eine Enttäu-
schung uns bereitet. Aber gedulden wir uns. Wer hat denn vor Wolf
den leisen Harfenton und den schrillen Ruf des Feuerglöckleins, den
zierlichen Vogeltritt im Schnee und die goldne Wage der Zeit musi-
kalisch erfühlt? Vielleicht kommt eines Tages doch das musikalische
Sonntagskind, dessen Wünschelrute auch die schlummernde Melodie des
Rohtrautliedes zu wecken weiß. R. Batka.

Cäuarcl ^lörike im kiläe.

Mörike gilt vorwiegend als der Sohn seiner Mutter. Scine bewegliche
Einbildungskraft, seine Vertrautheit mit der Märchen- und Geisterwelt, sein
srohcr, ihn über das Ungemach des Daseins hinwegtäuschcnder Hunivr —
das alles hat er in der Tat von ihr als geistiges Erbtcil erhaltcn. Abcr in
Aufzeichnungen, die der Vierzehnjährige vor dcm Gange zum Abcndmahl im
inbrünstigen Zustand der Zerknirschung zu Papier gcbracht hat, darin sich
und seine Geschwister mit ein paar Merkworten charaktcrisiercnd, sagt er
von sich selbst: „?utris similis: zornig, eigensinnig, trotzig, stolz." Und
gewiß cnthält auch dicse Selbstbeobachtung Richtiges. Nnr durch die Mischung
der verschiedenen körperlichen und geistigen Eigenschaften zweier Jndividucn
cntstchcn ja ncue Jndividualitäten, dercn Veranlagung davon abhängt, nnter
wie glücklichen Sternen sich jener gehcimnisvolle Prozeß vollzogen hat. Beim
Ursprung einer künstlerischen, einer dichterischen Natur kommt bcsonders viel
darauf an. Wenn die charakteristischen Eigentümlichkeiten von dem einen
Teil des Elternpaarcs sich in einem Poeten in scharfer und deutlicher Aus-
Prägung wiederfinden, so ist jedoch damit nicht gcsagt, daß der andere Teil
das Seinige zum poetischen Wesen des Sohnes nicht ebensvgnt, nur auf
eine weniger in die Augen springende Weise, beigetragcn hat.

Aeußerlich ist Mörike jedenfalls mehr das Ebenbild der Mutter als
des Vaters gcwcsen. Zwar gibt das einzige Bild, das sich von Frau Char-
lotte Mörike erhalten hat, eine Silhouette, keincn sichern Maßstab der Ver-
gleichung: abcr alle, die Mutter uud Sohn näher gckannt haben, bezeugen
es übcreinstimmend. Ebenso muß Mörikes ältere Schwester, die früh ver-
storbene Luise, ganz die gemeinsamen Züge von Mutter und Brudcr ge-
tragen haben. Der junge Eduard wird uns von Gleichalterigen als cin
anmutiger Knabe geschildert, dcssen zarte Schönheit seine reine Sccle wider-
spiegelte, der schon durch seine äußere Gestalt alle Hcrzcn fnr sich einnahm.
Wer ihn uur in älteren Jahren gesehcn hat, kann dics nicht lcicht ver-
stehcn. Denn seine mehr und mehr überhandnehmende Bcquemlichkcit und
Schwerfälligkcit kam auch in der Verbreiterung, Verweichlichung, Erschlaffnng
sciner Gesichtszüge, zumal in ihrer untern Hälfte, zum Ausdruck, die über-
dies mitunter den Anschein der Verdrossenheit hatten. Aber dcr gütige
Blick seines ticfdringendcn blauen Auges, der volle Ton sciner zum Gcmüt
sprcchenden Stimme, dcr warme Druck seiner wcichen Hand behiclten noch
im Alter etwas überaus wohltuendes. Sein Haupthaar blieb lange dicht
und gelockt und begann sich erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens zu

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