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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 23 (1. Septemberheft 1904)
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Moeller van den Bruck, Arthur: Moderne Literatur, modernes Leben - ein Gegensatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0563

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17. DMtz. 2Z

sVloäerne ^iterarur, rnoäernes Lebsn — ein GegensalL.

Die moderne Aesthetik geht zwar gern davon aus, daß Kunst
und Leben unbedingt identisch miteinander sind: die Erscheinungen
der ersteren sollen nur ein anüerer Ausdruck der Erscheinungen des
letzteren sein. Nun, und die moderne Kunst, und im besonderen
die moderne Literatur mit ihrem schon eher revolutionären als reak-
tionären Charakter, ist ja auch ganz gewiß nicht der Ausdruck irgend-
eines Lebens von gestern oder vorgestern, sondern drückt im allge-
meinen herzhaft das Leben von heute aus — zu dem modernen
Leben gehört sie so, wie sie aus ihm genommen ist.

Aber schließlich ist damit bloß gewährleistet, daß überhaupt
modernes Leben in der modernen Kunst steckt, doch noch lange nicht,
daß sie umgekehrt dieses moderne Leben auch vollständig deckt. Und
mehr und mehr will mir scheinen, als ob tatsächlich manches an diesem
modernen Leben, und zwar gerade das, was so recht eigentlich neu
an ihm ist, noch gar nicht in die moderne Literatur hineingekommen
sei, oder — wenn doch — als ob es falsch und schief hineingekommen
sei. Unsere Zeit dürfte weit mächtiger, diese ganze Kultur von Stahl
und Eisen weit großartiger sein, als sich in manchem Schaffen der
Gegenwart bisher offenbart hat. Und anderseits, und das ist das
wesentliche, hat sich in diesem Schaffen sogar vieles geäußert und
vorgedrängt, was die Gegenwart in einer Weise klein, schwächlich und
minder bedeutend erscheinen 'läßt, die vielleicht mit einem geringen
Teil der Wirklichkeit, die uns umgibt, aber niemals mit der ganzen,
großen übereinstimmt.

Man darf natürlich auch nicht an die ganze moderne Literatur
denken. Soweit sie rein realistisch und soweit sie rein lyrisch war
und nichts anderes sein wollte, hat sie getan, was man nur immer
von ihr erwarten konnte. Jn Treue erstand vor unseren Augen das
Aeußere der Erdendinge noch einmal. Und aus dem Echten und an
sich Erlebten heraus ward das Jnnenleben, dieses veränderte Gefühls-
leben des modernen Menschen besungen. Mit unserer Nealistik und
unserer Lyrik können wir zufrieden sein.

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