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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 23 (1. Septemberheft 1904)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0611

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llnsre /^olen unct Lilcler.

Unscre Notenbeilage bringt diesmal ben Schluß dcs ersten Satzes
von Josef Reiters Requiem. Nach einer zwölftaktigen Orchesterein-
leitung in k'-äur und j-inoll, den Haupttouarten dieses Satzes, bcginnt
der Chor mit dem „Requiem". Rhythmisch reicher gcgliedert ist schon der
zweite Vers, vom Chor (ohne Sopran) vorgetragen. Bei der Wiederholung
des „Rcquiem" sinkt der Chor in murmelndes Gebet zusammen, belebt sich
aber bald durch harmonische Ausgestaltung. Die Begleitungsfigurcu crin-
nern an die Arie. Nach etlichen Abwcchslungcn zwischcn den Einzclsiguren
und dem Chor und ciner Wiederholung des Requicm-Vcrses schließt der
erstc Teil dicscs Satzcs. Jm „lebhaften Andaute" bcginnt der kleine Chor
u cmpella das „te äeesi". Den ersten Vers vierstimmig, dcn zwciten
drcistimmig ohne Baß, nur von eiuer bekräftigendcn Oboenfigur unter-
brochcn. Dieses Spiel wiederholt sich mit einer Aendcrung iu der An-
ordnuug dcr Stimmen, worauf der ganze Chor in eincr kurzen kanonischen
Jmitatiou das „sxuucli" iutoniert, das in ein kleines Sopransolo über
demselbcn Thcma übergeht. Schließlich tritt in der Wiederaufnahmc des
erstcu Bcrses eiue höchste Stcigerung ein, um so wie das erste Mal ins
ppp zurückzuvcrsinkeu. Ueber dem Orgelpunkt auf der Tvnika singen acht
Knabeu ein zwcistimmiges, volkstümlich g-haltenes „Lz'rie", das der kleine
Chor uud cndlich der große Chor in reicherer Verzierung überuimmt. Die
Eiiizelstiiumen vom Sopran bis herab zum Baß bekräftigcu ihren Glauben
an die Barmherzigkeit Gottes, bis der ganze Chor znuächst rniisono, dann
in cinsachen I'-äui'-Harmonieen den klar und übersichtlich gcgliedcrten Satz
beschließt. Jn mancher harmouischcn Feinheit verrät der Komponist seine
individuelle Auffassung, so z. B. (S. U) bei der Stelle „omnis ouro vsviot
uä to", wo er, noch dazu durch ein ganz einfaches Mittcl, scincm Pessi-
mismus ob der Vcrgänglichkeit alles Jrdischcn treffcnd Ausdruck leiht. Und
ist nicht ctwa (S. 7) der zerlegte verminderte Septakkord bei „Oomius" der
schmerzliche Ausschrei einer angstgcquältcn Seele, die übcr ihr Schicksal im
Jenseils noch nicht beruhigt ist?

Mit der angehefteten farbigen Reproduktion nach dem Münchner Künst-
ler W. L. Le h m ann führen wir die Leser an die felsige Küste Nord-
frankreichs. Jm Licht der tiefstehenden Sonne glüheuder Fels, iu allcrlei
Widerschcineu funkelndes Wasser uud aus der Bucht zum Meere hinaus-
schwebeud mit ihren schwarzcn gespenstischen Segel-Fittichen die Boote. Jst
das uicht cin Bild von ganz ungewöhulichcr Kraft der Farbe sowohl wie
der Stimmung?

Vou den einfarbigen Bildern zcigt das erstc ein Stück aus ciucr der
Frcsken Giottos in der Kapelle Madonna dell' Arena zu Padua, dar-
stellend dcu Judaskuß. Es war zur Zeit der Gotik, es ist genau scchs
Fahrhunderte her, daß Giotto daran malte, und so crwcist sich das Wcrk
auf dcn erstcn Blick als cines aus der Kindheit der neueren Malerci.
^chou aus unserm Bruchstücke ersehen wir, wic beschciden die zcichnerischeu
Keuutnisse des Malers waren, wie nur schwer und unbehülflich scine Haud
dem folgeu konute, was das innere Gesicht ihr wies. Und dennoch welcher
Ernst, welche Kraft dcs Ausdrucks! Siud hicr Adel und Gemeinhcit iu
Aivei.Köpfcu weniger eindrucksvoll kontrastiert, als mit so vicl reichcren
Mitteln in Tizians „Zinsgroschcn"? Hinderu uns die technischeu Kiud-

t- Septeinberhcft t9»4 ^99
 
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