^iterslnr.
Kllnäscksu.
V Nun ist auch Wilhelm Jor-
dan heimgerufcn worden, und wenn
schon seit einiger Zeit der sonst so
häufige Kampfruf des alten Ost-
Preußen von Frankfurt nicht mehr
gegen die Narrcteien der Zeit und
das ertönte, was ihm als solche er-
schien, nun wissen wir's alle, er
wird niemals mehr dreinwettern.
Aber auch der Rhapsode der Vorzeit
wird nun nie mehr wieder mit
sprühenden Augen vor uns treten,
noch der Künder der Zukunft, der
mit den Rätseln der Natur in mühen-
dem Denkerringen die Rätscl des
Kommenden zu lösen hofftc. Was
wird von ihm bleiben? Wir haben
in diesen Blättern schon mchr als
einmal und erst jüngst wicder kurz
davon gesprochen, nicht allzu hoff-
nungsvoll, denn seincr Kunst nach
schien uns Jordan vor allem ein
Redner, und dem Redner flicht wie
dem Mimen die Nachwelt ihre Kränze
nicht. Was aber aus ihm redete,
war ein echter Mann, und kcine
Grabschrift kann besser vcrdient scin,
als die er sich selber wünschte: „Da
schläft ein tapferes Herz."
G Ein „Jnternationaler
Kongreß gegen die unsitt-
liche Literatur" wird für Anfang
Oktober nach Köln einberufen, und
zwar wendet sich der Aufruf an die
„Mitbürger allerKonfcssionen,Stände
und Parteien, soweit sie auf dem Bo-
den dcr geschichtlich gewordenen deut-
schcnKultur und der hcutigenStaats-
und Gcsellschaftsordnung stehn". Jch
habe dcn Aufruf so wie er ist mit
uuterzeichnct, da ich seincn Tcxt nicht
hätte becinflussen könncn nnd den
Kongrcß auf jeden Fall für sehr
wichtig haltc, aber die Einschränkung
bedaure ich. Es handelt sich hier um
keine Frage, die nicht den ehrlichen
Sozialdemokraten genau so anginge,
wie den Konservativen, den Zen-
trumsmann dder den Liberalen; es
gibt Sozialdemokraten genng, denen
die Schmutzliteratur so widerlich ist
und so gefährlich erscheint wie uns;
zu einem stolzen Herabsehen aber'
z. B. auf ihre Zeitungen haben wir
gar keinen Grund, dcnn zum min-
desten erstrebt die Presse keiner Partei
mehr als die ihrige das Darbieten
ernsten Lesestoffes. Wollen wir gcgen
den gedruckten Schmutz gründlich im
Volke wirken, so brauchen wir
die Sozialdemokraten zudem, denn
mit der Polizei und auch mit dcm
Gesctz ist's doch wahrlich nicht allein
getan. Gerade das Verquicken dieser
großen ethischen Fragcn mit Partei-
politik hat meiner Uebcrzeugung nach
ihre Lösung auf das häßlichste er-
schwert, gerade ihre Loslösung aus
diesem Getriebe scheint mir das Drin-
gendste, um sie zu fürdern. Es han-
delt sich hier um cine Sache des
ganzen Volks. Haben wir eine
Verständigung darüber mit dcn So-
zialdemokraten redlich versucht, unsre
Meinungen ihnen begründet, ihren
Meinungen nachgcdacht und gcfun-
den, daß sich ein Zusammcngehen
auch bei dieser ihrem eigentlichen
Wcsen nach so ganz und gar uupoliti-
schen Frage nicht erzielen lasse,
dann, ja dann freilich sind wir eben
gezwungen, allein vorzugchn.
Jch glaube nicht, daß mau den ge-
planten Kongreß besser stärkcn und
die Angriffe gegen ihn von vvrn-
herein besser abstumpfen könnte, als
durch eine offcne Widerrufung jcner
beschränkenden und, auch darüber
wär eine Täuschung vom Uebel, für
viclc chrliche Männer vcrletzcnde Be-
stimmung. „Es gibt sittlich Fühlende
überall", müßten wir sagen, „die
Sache steht über der Partci — kommt
von übcrallher, wir wollcn uns aus-
sprechen!" , A.
Z4?
2. Inliheft 1904
Kllnäscksu.
V Nun ist auch Wilhelm Jor-
dan heimgerufcn worden, und wenn
schon seit einiger Zeit der sonst so
häufige Kampfruf des alten Ost-
Preußen von Frankfurt nicht mehr
gegen die Narrcteien der Zeit und
das ertönte, was ihm als solche er-
schien, nun wissen wir's alle, er
wird niemals mehr dreinwettern.
Aber auch der Rhapsode der Vorzeit
wird nun nie mehr wieder mit
sprühenden Augen vor uns treten,
noch der Künder der Zukunft, der
mit den Rätseln der Natur in mühen-
dem Denkerringen die Rätscl des
Kommenden zu lösen hofftc. Was
wird von ihm bleiben? Wir haben
in diesen Blättern schon mchr als
einmal und erst jüngst wicder kurz
davon gesprochen, nicht allzu hoff-
nungsvoll, denn seincr Kunst nach
schien uns Jordan vor allem ein
Redner, und dem Redner flicht wie
dem Mimen die Nachwelt ihre Kränze
nicht. Was aber aus ihm redete,
war ein echter Mann, und kcine
Grabschrift kann besser vcrdient scin,
als die er sich selber wünschte: „Da
schläft ein tapferes Herz."
G Ein „Jnternationaler
Kongreß gegen die unsitt-
liche Literatur" wird für Anfang
Oktober nach Köln einberufen, und
zwar wendet sich der Aufruf an die
„Mitbürger allerKonfcssionen,Stände
und Parteien, soweit sie auf dem Bo-
den dcr geschichtlich gewordenen deut-
schcnKultur und der hcutigenStaats-
und Gcsellschaftsordnung stehn". Jch
habe dcn Aufruf so wie er ist mit
uuterzeichnct, da ich seincn Tcxt nicht
hätte becinflussen könncn nnd den
Kongrcß auf jeden Fall für sehr
wichtig haltc, aber die Einschränkung
bedaure ich. Es handelt sich hier um
keine Frage, die nicht den ehrlichen
Sozialdemokraten genau so anginge,
wie den Konservativen, den Zen-
trumsmann dder den Liberalen; es
gibt Sozialdemokraten genng, denen
die Schmutzliteratur so widerlich ist
und so gefährlich erscheint wie uns;
zu einem stolzen Herabsehen aber'
z. B. auf ihre Zeitungen haben wir
gar keinen Grund, dcnn zum min-
desten erstrebt die Presse keiner Partei
mehr als die ihrige das Darbieten
ernsten Lesestoffes. Wollen wir gcgen
den gedruckten Schmutz gründlich im
Volke wirken, so brauchen wir
die Sozialdemokraten zudem, denn
mit der Polizei und auch mit dcm
Gesctz ist's doch wahrlich nicht allein
getan. Gerade das Verquicken dieser
großen ethischen Fragcn mit Partei-
politik hat meiner Uebcrzeugung nach
ihre Lösung auf das häßlichste er-
schwert, gerade ihre Loslösung aus
diesem Getriebe scheint mir das Drin-
gendste, um sie zu fürdern. Es han-
delt sich hier um cine Sache des
ganzen Volks. Haben wir eine
Verständigung darüber mit dcn So-
zialdemokraten redlich versucht, unsre
Meinungen ihnen begründet, ihren
Meinungen nachgcdacht und gcfun-
den, daß sich ein Zusammcngehen
auch bei dieser ihrem eigentlichen
Wcsen nach so ganz und gar uupoliti-
schen Frage nicht erzielen lasse,
dann, ja dann freilich sind wir eben
gezwungen, allein vorzugchn.
Jch glaube nicht, daß mau den ge-
planten Kongreß besser stärkcn und
die Angriffe gegen ihn von vvrn-
herein besser abstumpfen könnte, als
durch eine offcne Widerrufung jcner
beschränkenden und, auch darüber
wär eine Täuschung vom Uebel, für
viclc chrliche Männer vcrletzcnde Be-
stimmung. „Es gibt sittlich Fühlende
überall", müßten wir sagen, „die
Sache steht über der Partci — kommt
von übcrallher, wir wollcn uns aus-
sprechen!" , A.
Z4?
2. Inliheft 1904