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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 17 (1. Juniheft 1904)
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Stoessl, Otto: Die Posse
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0245

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vie Vosse.*

Wir sind wohl alle darllber einig, daß unser Schwank und un-
sere Posse von allen dramatischen Erzeugnissen am tiefsten stehen,
zugleich aber, nach der Zahl ihrer Aufführungeu, von der breiten
Masse des Publikums am höchsten geschätzt werden. Die Wertung der
wahreu dramatischen Meisterwerke unserer Literatur ist bei dieser Masse
eine nur platonische, wenn man indes bloß jene Wertung, mit einiger
Bitternis allerdings aber notgedruugen, als praktische gelten läßt, die
sich in materieller Opferfreudigkeit ausdrückt, so muß man bekeunen, daß
eben das Publikum für den Theaterbesuch sein Geld hergibt, der ihm
die „Unterhaltung" durch eine Posse verspricht. Für Kunstwerke des
dramatischen Schaffens hat es eine mehr ideale Bewunderung, als
halte es sich selbst nicht für würdig, dem Allerheiligsten zu uahem
Und darin liegt allerdings eine gewisse gerechte Selbsteinschätzung.
Die Theaterleute schließen aus der Beliebtheit der Schwänke dcnu
auch auf die Unentbehrlichkeit solcher „harmlosen" Erzeugnisse und
wollen ohne sie nicht auskommen. Woher aber diese unleugbare Vor-
liebe für das Schlechteste und Gemeinste stamme, und warum gerade
Schwank und Posse nicht nur auf dem Gebiet der nicdern Komik
verweilen, was ihnen am Ende niemand ernstlich verübeln dürfte,
nein, warum sie das Niedrig-Komische mit einer so außerordcntlicheu
Albernheit, Geschmacklosigkeit, Erfindungsarmut, Reizlosigkeit und völ-
ligen Barbarei behandeln, das scheint nicht genau genug betrachtet zu
werden. Denn die Erkenntnis von den Ursachen dieser Erscheinung
konnte viellcicht einen Schluß auf den allgemeinen Stand unserer
Schaubühne, auf ihre Stelluug in der Gegenwart und Zukuuft des
deutschen Lebens ermöglichen.

Der Erfolg uud mächtige Zulauf der Possen beweist zunächst
unbedingt, daß sie auf einer breiteu Basis des allgemcinen Empfin-
dens beruhen, daß sie nicht bloß geschmacklos, schlecht, dumm sind,
sonderu — mag dies anzweifeln, wer es wagt —, daß sie ivahr sind.
Der Erfolg irgend eines Erzeugnisses auf welchem Gebiete der Pro-
duktion immer (im weitestcn ökonomischcu Siune verstandcn) beweist
zwar wcnig für seine Trefflichkeit, aber alles dafür, daß es einem
wirklichen Bedürfnis entgegenkam. Entsprach nun gerade das Schlech-
teste dicsem wirklichcn Bedürfnis am meisten, so muß man uicht sv
sehr das Produkt, als das Bedürfnis nähcr ansehen. Das Theater
gibt immer cin Bild des menschlichen Lebens in irgend eincr indi-
viduclleu, doch wieder typischen Besonderheit. Die Wirkung dieses
Bildes ist wesentlich davon abhängig, daß es mit dem faktischen Zu-
stande der Dingc, mit dem wirklichen Weltbilde übereinstimme, daß
es in irgend cinem Sinne wahr sei. So muß unsere Posse wahr
sein, tief in der ganzen gegenwärtigen Lebensform begründet, sie
muß allgemcineu Zuständen, Anschauungen, Gewohnhciten entsprechcn,

* Ohne dem Herrn Verfasser bis in jede Einzelhcit bcistimmeu zn

wollen, glauben wir doch, daß die Art, wie cr dicsc Zeiterschcinung be-

leuchtet, nicht ohne ein besonderes Jnteresse sein wird. Vielleicht ist mit

diesem ersten Worte auch für dcn Kunstwart noch nicht das letzte über den

Gegenstand gesagt. A.

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Runstwart
 
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