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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0673

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Qnsre uncl kilcie^.

„Auf einer Wanderung", das Lied Mörikes, das wir unsern
Lesern diesmal — dank dem besonderen Entgegenkommen des nunmehrigen
Verlags * — bringen diirfen, zählt wohl weniger im Modeprogramm des
Konzertsaales, als vielmehr innerhalb der Wolfgemcinde zn den bernhm-
testen Schöpfungen Hugo Wolfs. Nicht zufälligerweise hat Josef Schalk
in seinen für den jungen Meister bahnbrechenden ersten Aufsätzen Wolss
musikalische Gestaltungskraft gerade an diesem Beispiele erläutert. Und
Paul Müller erzählt, wie Wolf gerade dieses ja freilich entzückende Gedicht
ganz besonders geliebt und „zum Heulen schön" gefnnden habe. Wir
möchten hier einmal auf den wunderbaren thematischen Aufbau hindeuten,
der dieses Lied in der Tat zu einem symphonischen Gebilde stempelt. Mit
einem munteren, rhythmischen Motiv hebt es an. „Jn ein freundlichcs
Städtchen tret ich ein." Wir wissen nicht glcich, ob das Motiv den frischen
Mut des Wanderers kennzeichnet odcr mit seinen Ecken und Zacken ein
Bild des altertümlichen Städtchens geben will, etwa wie das Nüren-
berg-Motiv in Wagners „Meistersingern". Die Harmonie modnliert immer
mehr in die dunklen b°Tonarten hinein »nd scheint den „satten roten
Abendschein" zn malen. Plötzlich erhellt sie sich, wie des Wanderers Ge-
müt beim Anblick des offenen, blumengeschmücktcn Fensters, beim Hören
der „Goldglockentöne", deren „Schweben" uns eine geniale rhythmische Um-
bildnng des Grundmotivs (S. 2, vom drittletzten Takt an) versinnlicht.
Dann Rückkehr znr gleichmäßigen Achtelbewegung. Aus dem kurzen Auf-
takt (S. 3 Takt 3) entwickelt sich, immer höher cinsetzend und chromatisch
empordrängend, ein gesteigerter Lauf; sozusagen die Streckung des
rhythmischen Hauptniotivs in die gerade Linie, ins Unendliche hinaus.
„Daß in höherem Rot dic Rosen leuchten vor." Auf dem H-Gipfel des
großen Crescendo tritt in der Oberstimmc die rückläufige Bewcgung cin,
während die Mittelstimmen über dem liegenden Grundton erst vom Zuge
nach oben erfaßt werden, sodaß die ersten Takte des Nachspiels das
Jneinander-Gewühl der enthusiastischen Empfindungen schildern. Dann er-
mattet der Sturm, der Taumel in des Wanderers Seele. „Lang hiclt
ich staunend, lustbeklommen." Breite, ruhende Akkorde haben die Bewegung,
die in dem leise abwärts fließenden, „gestreckten" Moriv verrinnt, gestaut,
zwischendurch blitzte ab und zu die Grundform in der Erinnerung auf
nnd zu den Worten „Wie ich hinaus vor's Tor gekommen" beginnt pM
die nach i? versetzte Reprise des ersten Teils, 6 Takte lang über dem
Orgelpunkte der Quint, dann Uebergang in den Schwcbcrhythmus, aus
dem sich durch eine nene Umbildung (S. 6 vvn oben) ein zweitcs melv-
disches, wie von wohliger Abcndkühle durchwehtes Motiv in lieblichen Bin-
dungen und Verschlingungen entwickelt. S. 7 bei „ich bin wie trunken,
irrgeführt" wird dieses, ich möchte sagen: wcibliche Seitenmotiv in kurzer,
mächtig drängender Steigcrung emporgetricben, um nach 5 Takten in dithy-
rambischem Aufschwunge eine strahlcnde Gipfclung zu erreichen. „O Muse,
du hast mein Herz berührt!" Weich, hingebungsvoll leitct eine aus dcm-
selben Gesangsmotiv gebildete Kadenz (ckolos) zum Abschluß. Jn einem
zarten Nachspicl verklingt und verschwebt noch das nen auftauchende Grnnd-

* Hugo Wolfs „Mörikelieder" sind seit ciniger Zeit in dcn Verlag von
C. F. Peters in Leipzig übergegangen.

Kunstwart
 
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