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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 13 (1. Aprilheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0030

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Das Wasserweib.

Das Schncegebirg leuchtet im hellen Mondschein der Winternacht. Leis
fingt der Wind um die Glanzgipfel in den bläulichen Lüsten. Unten vom fest-
gefrornen See her tönt ein Krachen und Knattern, als rührte sich eins lebendig
unterm Eis, schlüge gegen die Decke, wollt' sie zersprengen. Und von Zeit zu
Zeit heult der Spitz vorm einsamen Fischerhause aus seiner Hütte hervor.

*

Jn der Wohnstubc sitzt der Fischerirgl vor der Kerze und flickt an einem
Netz. Auf der Ofenbank ihm gegenüber sein kleiner Bub mit dem Kinn auf
dom Tisch.

„Vaterl" sagt der Bub: „was tut drauht a so?"

Der Jrgl hebt den Kopf und horcht aufs dumpfe Knattern hinaus.

„'s Wasserweib schneuzt ihr!" sagt er.

„Wer is 's Wasserweib, Valer?"

„'s Wasserweib? die is drunt im See, in der Fisch' ihrem Haus. Bei
der Nacht aber, wann der Mond hinscheint, geht's für bei selbem Loch, weitzt,
und hockt ihr am Eis hin, und na schneuzt sie ihr haltl"

„Was tut des nachher so fast?"

„Ja mein, Bub, weil 's Wasserweib, des is a großmächtig's Weib, und
Naslöcher hat's, sehlt nit viel als der Mutter ihrc Schmalzpfann'I Loos*I hörst
es jetzt wieder?"

^Jo!" sagt der Bub.

*

Der Vater ist in die Kammer zum Schlafen gegangen. Der Bub liegt
auf seinem Unterbett ncbcn dem Ofen und schaut unter der warmen Decke heroor.

Durch die hohen Blumenstöcke am Fenster — der eine Laden ist ein
wenig aufgeknarrt — langt der Mondschein mit weitzen Riesenfingern hinein.

Und von drautzen kracht's wieder dumpf durch die Nacht.

Da zieht er sich sacht unter der Decke heroor, träppelt ans Fenster und
lugt hinüber zum See.

Aber nichts, garnichts ist drautzen zu sehn als der Glitzerschnee überall.
Und die hohcn Berge so hell wie am Tagl

Eisig atmet's durchs Fenster hin an den Buben.

»Jst ihr zu kalt worden eppa?" denkt cr: „hat's ihr eppa wieder ver-
schloffen im Wasser?"

Alles ist festgefroren, die ganze Welt ist weitz zugefroren, nichts Lebig's
mehr draußen. Die Sterne allcin zittern droben, daß er meint, jetzt, jetzt
brcchcns ab und fallen herunter, und der Mond steht am Himmel wie angenagelt
und scheint.

Gespenster.

Jm Dämmerdunkel unter dem kahlen Weidicht am steilcn Ufer zittert
einsam das Büblein vom Einödhof droben. Jhm graust, längst sollt' es heim,
aber mit großen Augen starn's zum See unler sich, der liegt da, so fürchtig
finster und fremd, und klatscht ans Ufer und schlurft, als tät er was schluckcn!
und überm See, unter den Tannen am Landspitz hockl's riesig schwarz. mit dcm
zottigcn Kopf dicht am Wasser, aus dem Wasser aber schaut finsterspitz ein
Gesicht.

1?

* Horch l
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