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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 13 (1. Aprilheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0045

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faht, sich für eine Handvoll Gulden
in die westindischen Kolonieen zu ver-
dingen, um vom Elternhause wie vom
Dache seines Mädels die äußerste Not
abzuwenden, muß er erfahren, daß
die Altcn, denen zuliebe er sich
opfert, völlig vertierte Wesen gewor-
den sind, für die nnr noch ein Wort
Klang hat: Geld, Geld! und daß auch
das Mädel, an das er dachte, seinen
Entschluß nicht versteht. Trotzig wen-
det sich ihr robuster Mädchenstolz,
deni fordern mehr gilt, als entsagcn,
von dem „niederträchtigen Kerl" ab;
unter dem Hansseil der Zillc, die sie
schleppt, bricht sie keuchend zusammen,
während die hüpfenden Alten mit den
Papierscheinen spielen und den Teufel
danach fragen, ob dem Jungen das
Herz bricht .... Es gab eine Zeit,
wo uns solch stumpfes Abbrechen mit
einem Fragezeichen odcr cinem Gc-
dankenstriche imponierte. Wir ver-
muteten dahinter wohl eine verhal-
tene Keuschheit des Künstlers, den wir
selbstverständlich immer anch im Besitz
des nur nicht zu Markt getragenen
Könnens wähnten. Heute geben wir
uns damit nicht mehr zufrieden. Die
Technik des moderncn Realismus gilt
uns als Gemeingnt, für dessen mehr
oder weniger geschickte Handhabung
niemand mehr groß Dank fordern darf.
Sie ist erst das Rhodus, auf dem ge°
sprungen werden soll. Heijermans aber
springt nicht. Jn dcm Augenblick, wo
Jnhalt nnd Seele in seine nmständ-
liche Malerei kommen soll, sinkt ihm
verzagt oder erschlafft die Hand. Kein
Zweifel: es sind viele feine intim be-
obachtete Lebenszüge an scinen Men-
schen, am scharfen und richtigen Schen
fehlt es ihm nicht, aber aus den Glie-
dern formt sich kcine runde, lebens-
volle Gestalt, wächst kein Menschcn-
schicksal aus, ballt sich keine kräftige
Tragik zusammen. Das ist Natura-
lismus von vorgestern, den ein weiter
blickender, weniger eigensinniger The-
aterleiter, als Brahm es ist, in seiner

holländischen Heimat lassen würde, wo
er vielleicht noch einen Beruf zu er-
süllen hat. Bei uns — ganz bescheiden
gesprochen — ist er nichts weiter als
der bekannte Mohr, der seine Arbeit
getan hat.

Zwci französische Ncuheitcn des
„Trianontheaters", jenes koketten Ro-
kokobaues, der sich in eincm der un-
gefügen Stadtbahnbogen inkrustiert
hat, wie daS Schneckenhäuschen im
Tuffstein, zeigen cinmal wieder, in
welcher Mauserung hcute bci unsern
westlichcn Nachbarn das Lustspiel
und dcr Schwank begriffen sind. Man
hat die cwigen Cochonncrieen satt und
liebäugelt zur Abwechslung ein we-
nig mit der gntbürgerlichen Moral.
„Das elfte Gebvt", das Ed-
mond Sße in seinem Schwank ver-
kündet: „Dn sollst nicht sprechen
über deincs Nächsten Weib, wenn dn
cs bcgchrst", hört sich zunächst zwar
noch recht schwercnötcrhaft an, am
Ende aber bringt ein Rechtsanwalt,
ein Spezialist für Versöhnung scheide-
lustiger Eheleute, den sie deshalb den
„Weichensteller" ncnnen, alles wieder
ins richtige Gcleise: der „Jndiskrete"
— so der Originaltitel — wird auf
einen totcn Strang geschobcn, wäh-
rend Madame Thcreses Wnggon, der
in Gefahr war zu cntglciscn, mit dem
Train ihres legitimen Gatten neu
und fcster dcnn jc zusammengekuppelt
wird. Das ncnnt man dann rsMrsr
In mornls- — Ein Plauderkunststück-
chen ist Oktave Mirbeaus
„satirischcr" Einakter „Der Dieb".
Da wird ein Einbrechcr, ein Welt-
mann und Philosoph scines Berufs,
bei der nächtlichen Ausübung seines
Handwerks überrascht, weiß aber den
sast schon Bestohlcnen mit Maxmien
und Sophismen über das Thcma
„Eigentum ist Diebstahl" so amüsant
zu unterhalten, daß der bcinahe um
Entschuldigung bittct, dcn Gentleman
in seiner menschenfreundlichen Arbeit
gestört zn haben. Der prickclnde Reiz

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Annstwart
 
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