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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 13 (1. Aprilheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0047

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des Dingelchens liegt rnchr in der
ncrvenerregendcn Besonderheit der
Situation als in dem Geist der Ge-
scllschastssatire, die der gerne in so-
zialen Problemen lustwandelnde Mir-
bean aufbringt, wenn er seinen Tieb
in Zylinder und Lackschuhen ausein-
andersetzen läßt, wie er gefunden
habe, daß auf diesem Wandelstern
eigentlich aller Erwerb auf Diebstahl
hinauslaufe, und wie er sich dcshalb
nach mancherlei Versuchen in andern
bürgerlichen Berufcn kurzer Hand ent-
schlosseu habe, daS auch zu scheinen,
was er im Grundc immer war. Wenu
ein Einbrccher scinem Opfer vor er-
brochenen Geldschränken uüchtlicher-
weise dicse Lebensphilosophie ansein-
andcrsetzt, so übt das auf die Zu-
schauer ctwa die Wirkung aus, wie
wenn ein Luftgymnastiker nben auf
schwcbendem Seil, sagen wir, eine
Portion Austcrn mit Chablis verzehrt.
Jnteressant ist aber, daß gerade diese
artistischcn Seiltänzereien — zwischen
Moral und Nnmoral, zwischen Ein-
falt und Frcchheit — dem Publikum
irngehcuer gefallen. DaS „Trianon-
Lheater" macht dem „Residenztheater",
das bei der gnten alten Eindeutigkeit
blcibt, ncucrdings immer schärfere
Konkurrenz; das Verhältnis dcr bci-
den Nebenbuhler ist ungefähr wie das
dcr Großen Knnstausstcllung zur Ber-
lincr Sczcssion: das Raffinement der
Technik sicgt über dcn fctten Jnhalt,
die Nüance macht ihr Glück.

Lrnst Detleff.

G Gobincau auf der Bühne.

Jn seiner Tragödie „Alexander"
hat der sranzvsische Graf jeden
Augenblick das moderne Thcater im
Auge: er spricht vom Hintergrund,
von rechts und links. Scin Szenen-
wcrk „Die Renaissance" dagcgcn be-
schreibt stets ganze oder gar nnbe-
grenzte, rundc oder vierscitige Schau-
Plätze, nicht Bühnenausschnitte. Und
doch hat cs mich scit Jahrcn gercizt,
den oder jcnen historischcn Dialog

Gobineaus im Kostüm, im theatrali-
schen Milieu sprechen zu lassen. Nicht
allein die Bedeutsamieit des Wer-
kes, sondern vor allem die Verlogen-
heit anderer erfolgreicher Schauspielc,
die sich das schmückende Mäntelchen
der Renaissancezeit umgehängt hat-
ten, licßen mich in diesem Winter
den Plan wciter verfolgen.

Gewiß verlohnte es sich nicht,
alle Szenen aus die Bühne zu
heben. Einige sind nur eine halbe
Druckseite lang, und wieviel Spiel-
abende hätte ich gebraucht, nm mehr
als hundert Bilder zu entrollen! Jch
beschränkte mich schließlich auf acht.
Savonarola, Cesare Borgia, Leo X.
und ihre Gegenspieler schaltete ich
aus und warf mich auf den Lieb-
lingshelden Michelangelo. Jn der
ersten Szcne ist er 22 Jahre alt, in
der letzten stcht er vor seincm Tode.
Es sind also Stationen seincr Le-
benspilgerschaft, nnd sie machen uns
mit seinem Vater, mit Granacci, mit
Machiavelli, mit Julius II., mit
Vittoria Colonna bekannt. Da der
Höhepunkt der drittletzten Szene durch
Raffaels plötzlichen Tod herbeigeführt
wird, so fügte ich vorher das Liebes-
gespräch zwischen dcm lcbensfrohen
Urbinaten und Beatrice ein, in dem
überdies die Person Michelangelos
geistig gegenwärtig ist. Jch kürzte
den Text erheblich, um alle die Be-
ziehungen auszumerzcn, die dicse acht
Szenen mit den übrigcn, nicht ge-
spieltcn, vcrbanden. So entstand
etwas Organischcs, fast ein Ganzes.

Jch mußte mir aber auch einc
Bühne dazu erfinden. Es sollte eine
Festvorstellung im Künstlerüundc
„Hagen" werden, der seine Gästc nicht
in ein ständiges Thcater lud, son-
dern in einen Saal, der keine Galerie
hatte. Dieser Mangel erlaubte uns,
dcn Bühnenausschnitt sehr niedrig zu
haltcn und die Soffitten zu sparen.
Wir brauchtcn überhaupt nur den
Hintcrgrund ausznwcchseln und Tischc,

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