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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1904)
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Motta, José Viana da: Konzertprogramme
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0134

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den Titel suhren: „Verklärung nach dem Tode" oder: „äs astsruis
rsdus", wobci ich besonders auf die von philosophischem Geiste cin-
gegebene Zusammenstelluug des Bacchanales mit dem Trauermarsch
aufmerksam mache.

Man sieht hiebci, wie weuig Berücksichtigung die historische Folge
beansprucht. Diesc muß uur in Konzerten historischen Charakters cin-
gehalten werden, sonst aber sind die Fragen des Stils, dcr Kontraste,
der Steigerung wichtiger. Freilich halte ich es für einen Verstoß,
dic modernc Novität an den Anfang zu setzen und die klassischc Spm-
phonie au deu Schluß. Hier schwebt wahrscheinlich die Meinuug vor,
daß der Hörer zu Ansang für etwas Neues, Komplizierteres auf-
nahmefähiger sei. DaS glaube ich nicht. Jch möchte sogar das Gegen-
teit behaupten: das erste Stück strengt mehr als die folgenden an.
Mau denke nur, wie man in den Konzertsaal kommt, und nun dcr
Gegensatz zwischcn Leben und Kunstwerk. Die „Stimmung" stellt sich
da uicht sofort ein. Diese Stimmung zu erwecken, ist sogar die schwic-
rigstc Aufgabe für den Programm-Komponisten uud dcn Ausführen-
dcn. Man sollte iiumer mit einem bekannten Werke oder dem eines
bekannten Komponisten beginnen, von nicht zu kurzer Dauer, bis sich
die musikalische Atmosphäre gcbildet hat, und somit die Novität lieber
gcgcn den Schluß hiu bringen. Dann kommt es auch sehr viel auf
den Charakter der Werke an. Mir z. B. ist es unmöglich, nach einer
Dichtung von Strauß eine Symphonie von Haydn zu genießen. Selbst
Beethovens „zweite" wirkte einmal bei Weingartner kindlich nach
Berlioz' Linkoms kantLstigus, bei welcher Vemerkung sich allerdings
das „kindlich" nicht etwa auf den Wert des Werkes bezieht. Es
verstoßcn also solchc Zusammcnstellungen gegen das Prinzip der
Stcigerung.

Eigentlich sollte ein Programm so komponiert werden wie cinc
Symphonie: die einzelnen Teile sollten cinen geistigen Zusammenhang
haben, miteinander kontrastieren (in Charakter, Tonart und Takt-
art) und eine kontinuierliche Steigerung enthalten. Ein so kom-
poniertes Programm würde dann auch jede Zugabc verbieten, ass
die Einheit und die Jdee schädigend. Die Zugabe ist übcrhaupt un-
würdig. Man hört sie „stehcnden Fußes" oder „halb sitzend" an, und
hat ein Gefühl wie im Zirkus: welches Kunststück kommt jetzt, das
noch alles andere überbieten könnte an Kühnhcit und Gefährlichkeit?
Am strengsten verfuhr damit Lamourcux: iu sciner ganzen Praxis hat
er niemals ein Stück wiederholt und wenn das Publikum es auch
tobeud vcrlangte, und ganz selten nur hat er sogar erlaubt, daß der
Solist ctwas „zugab". Kein Solist, dcr sein Programm stilvoll kom-
Poniert hat, sollte sich zu einer Zugabe herabwürdigeu. Und wie
falsch, den Erfolg nach der Anzahl der Zugabeu zu bemessen! Vom
Publikum Zugabcn zu erzwingcn oder eigentlich: es zu zwingen zur
Erzwingung von Zugabcn ist kein Kunststück und nicht würdig des
Künstlers. ' I. vianna da Motta.

tvs

t- Maiheft ^90^
 
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