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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 16 (2. Maiheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0228

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Kunst iu den Akkord der Natur zu
verivehrcn. Aber wir Berliner sind
für die Propertee, und vollkommen
ist uns der Marmor erst, wenn er
wie Zuckerkand aussieht.

Verrnikckles.

G „Oberflächen-Kultu r."
Von Fritz Lienhard. (Stuttgart,
Greiner L Pfeiffer. ( Mk.)

Lienhard läßt's also immer noch
keine Ruh; mit dreiundsechzig Seiten
zieht er abermals gegen uns aus.
Verführerisch wär's schon, ihm ein-
gehend zu antworten. Da belenchten
Einzelurteile ganz drollig scharf das
Wesen dcs Geistes, der sich als „Ueber-
schauer" fühlt (Möriies „llm Mitter-
nacht" und Kellcrs „Unter Sternen"
steckcu nach Licnhard voll grober An-
schauungsfehlcr, des Claudius „Wie-
genlied" ist „nahezu das Muster cines
schlechten Gedichtes"), uud das Her-
umrupfen an einzelnen Federn dieser
Gedichte, ohne zu ahnen, wie hoch
ihre Fittiche tragen, steht ganz präch-
tig einem an, der unsre „Uebungen
im Gedichtlesen" „kleinlich" sindet
und über deu Maugel au „Groß-
zügigkeit" bei Webers Besprechung
seiner eignen Sachen so entriistet
ist. Dann wird auch für recht
kurzsichtigc Augen die Unfähigkeit
Lienhards klargemacht, aus dem
Schwärmen einmal ins Denken zu
komnieu, hier, wo unsre Debatte statt
des Herum-Jrrlichtelierens cin fcstes
Standhalteu so unbedingt verlangt
hätte. Behauptung Lienhards: der
Kunstwart treibt Außen- und Ober-
flächenkultnr und vernachlässigt die
höchste, seelische, die Persönlichkeits-
kultur. Gegenfrage meinerseits: „Wie
anders könuen wir überhaupt irgend
einc höchste Persönlichkeitskultur gro-
ßer Menscheu aufnehmen, wenn
sie sich iu der Form von Kunst
äußert, als indcm wir diese »Sprache
des Unaussprechlichen« verstehen ler-
nen?" Darauf keine Antwort. Und

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doch fehlt dem Gewölbe, aus dem
Lienhard auf uns schießt, droben der
Schlußstein, wenn er auf diese Frage
keine Antwort hat, sodaß es schon
deshalb über ihm selber zusammen-
fallen muß. Weiterer Vorwurf sciner-
seits: der Kunstwart „vertrivialisiert"
und „vernüchtert", seine „subalterne
Aesthetik" kann unter den Schaffcn-
den die nicht begrcifen, die „fliegen".
Schaffende der letzten hundert Jahre,
für deren Vermittlung wir immer
wieder gewirkt haben, heißen laut
Auswcis der Kunstwartbände Hebbel
und Keller, Ludwig uud Mörikc,
Wagner und Liszt, Bruckner und
Wolf, Rethel und Cornelius, Schwind,
Richter, Thoma, Böcklin und Klinger
— Gegenfrage an Lienhard: wo sind
denn die „wahrhaft" Großen, die so
viel „höhcr fliegen" als diese und
die unsre „subalterne Aesthetik"
nicht sieht? Abermals als Antwort:
Schweigen. Uud doch lägen, dächt'
ich, diese Fragen für unsre Aus-
einandersetzung im Mittelpuuktc.

Jndessen, während der Muud vom
„Zentralen", vom „Fliegen", vom
„Großzügigen" spricht, klaubt die
Hand einigen Kleinkram aus der
Peripherie auf, um daraus so etwas
wie ein Mosaikbild zusammenzu-
stecken. „Sehet, so sieht der Kunst-
wart aus!" Wer ihn kenut, kann ja
nachprüfen, ob er so aussieht. WaS
mich betrifft: möglich, ich zeige bei
andrer Gelegenhcit einmnl auf, wic
dünn die Gedankcn-Nädclchen sind,
die Lienhard dabei gebraucht, bei
andrer Gelegenheit, wo's Wichtigeres
zu illustrieren gibt, als ihn odcr niich.
Aber zu entbehrlichen Unter-
haltungen mit ihm hab' ich kcine
Lust. Wenn er's jetzt fertig bringt,
sich als ganz allein sachlich inter-
essierten Mann hinzustelleu, heutigen-
tags, wo jedermann im Kunstwart
(XVII, 2 und besonders XVII, 5)
die Dokumente des Gegenbeweises
nachlesen kann, nun, so bcschäftige

Knnstwart
 
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