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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 20 (2. Juliheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0422

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und Enkel um Sie lebten, wären Sie es nicht? . . . Und wenn Sie sich
Jhren Reichtum, Jhren Ruhm, Jhr Genie bewahrt hätten, — wären Sie
es nicht? . . . Und wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet — den
Weg hinab gehen wir alle allein . . . wir, die selbst niemandem gehört
haben. Das Altern ist nun einmal eine einsame Beschäftigung für unser-
eineu, und ein Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, auf keinen
Menschen angewiesen zu sein.

Julian: Und Sie, Sala, Sie glauben, daß Sie keines Menschen
bedürfen?

Sala: So, wie ich sie gebraucht habe, werden sie mir jederzeit zu
Gebote stehen. Jch bin stets für gemessene Entfernungen gewcsen. Daß es
die andern nicht merken, ist nicht meine Schuld.

Julian: Da haben Sie allerdings recht, Sala. Sie haben uie ein
Wesen auf Erden geliebt.

Sala: Möglich. Und Sie? So wenig, Julian, wie ich . . . Lieben
heißt, für jemand andern auf der Welt sein. Jch sage nicht, daß es ein
wünschenswerter Zustand sei, aber jedenfalls, denke ich, wir waren bcide
sehr fern davon. Was hat das, was unsereiner in die Welt bringt, mit
Liebc zu tun? Es mag allerlei Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines,
Leidknschaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt, — aber Liebe ist es
doch nicht . . . Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere
Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihrcn Vorteil gehabt hättc? . . . Habcn
wir je gezögert, anständige Menschcn zu betrügen oder zu belügen, wenn
wir dadurch um eine Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden
konnten? . . . Haben wir je unsere Ruhe oder unser Lebcn aufs Spiel
gesetzt — nicht aus Laune oder Leichtsinn . . . nein, um das Wohlergehen
eines Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte? . . . Habcn wir je
auf ein Glück verzichtet, wenn dieser Verzicht nicht wenigstens zu unserer
Bequemlichkeit beigetragen hätte? . . . Und glauben Sie, daß wir von einem
Meuschen — Mann oder Weib — irgend etwas zurückfordern dürften, das
wir ihm geschenkt hatten? Jch meine keine Perlenschnur und kcine Rcnte
und keine wohlfeile Weisheit, sondern ein Stück von unscrm Wcsen —
einc Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an sie verloren hättcn,
ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen, mit welcher Müuze immer. Mein
lieber Julian, wir haben die Türcn offenstehen und unsere Schätze sehen
lassen — aber Verschwender sind wir nicht gewesen. Sie so wenig wic
ich. Wir könuen uns ruhig die Hände reichen, Julian. Jch bin etwas
weniger wehlcidig als Sie, das ist der ganze Unterschied. — Aber ich
erzähle Jhnen ja da nichts Neues. Sie wissen das alles geradesogut wie ich.
Es gibt ja für uns gar keine Möglichkeit, uns'nicht zu kennen; wir geben
uns wohl zuweilen redliche Mühe, uus über uns selbst zu täuschen, aber
es gelingt uns nicht. Andern mögen unsere Torhciten, uusere Niederträchtig-
keiten verborgen bleiben, — uns selber nie. Jn unserer tiefsten Secle wisscn
wir immer, woran wir mit uns sind. — Es wird kühl, Julian, gehen wir
ins Zimmer.
 
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