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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 23 (1. Septemberheft 1904)
DOI Artikel:
Moeller van den Bruck, Arthur: Moderne Literatur, modernes Leben - ein Gegensatz
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Gregori, Ferdinand: Emil Devrient und wir
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0567

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zu einer Kunst führeu, die seiner ebenbürtig ist. Erst diese Kunst
toird die wahrhaft moderne sein, erst sie werden wir wirklich gleich-
setzen dürfen mit dem Leben, das heute an uns mit Ungebärde vor-
überbraust und das wenigstens bei den Dichtern, von denen ich hier
geredet, seine Deuter noch nicht gefunden hat.

Arthur Nloeller-Bruck.

6rnil vevrienl uncl rvir.*

Unsre Zeit merkt scharf auf die Gedenktage. Sogar den Schau-
spieler und seinen fast verrauschten Glanz ruft sie aus dem Grabe
heraus und umkränzt die verdorrte Stirn mit frischgebrochenen Blüten.
Auf dem Dresdener Friedhofe freilich lag am September vorigen
Jahres nur ein einzelner Lorbeerring zu Emil Devrients Füßen, als
sich sein Geburtstag zum hundertsten Male jährte, aber Houbens um-
sängliches Buch gilt mehr als hundert Kränze.

Wir denken, wenn wir den Namen Devrient hören, stets zuerst
an den großen Onkel Ludwig, der einst in Berlin auf den Brettern
siegte und so gern mit E. T. A. Hoffmann bei Lutter und Wegner
in der Weinstube saß. Von ihm ging eine stürmische Gewalt aus,
der sich niemand entziehen konnte. Er war das Genie der großen
Familie, nnd er war der Zigeuner unter den korrekten Bürgern, die
sich nannten wie er. An zweiter Stelle fällt uns Eduard ein, der
Geschichtsschreiber der deutschen Schauspielerei, der sittlich-starke För-
derer unsres jungen Standes. Emil und Karl waren seine Brüder,
der eine voll Adcl, der andre voll Natur. Wir würden, wenn die
beiden heute unter uns träten, dem ersten, weit berühmteren, fremder
gegenüberstehen als dem zweiten. Und gerade darum trifft es sich
gut, daß über Emil, den verzogenen Licbling des Hofes und der guten
Gesellschast, der für uns keine „Gegenwart" in sich hat, eine Bio-
graphie erschienen ist. Sie zeigt die Wandlung in unsrer Kunst
und im Geschmacke des inzwischen demokratisierten Publikums.

Eine hohe schlanke Erscheinung steigt vor mir auf: eine breite
glatte Stirn, große leuchtende Augen mit scharfen lauggezogenen
Brauen, eine außergewöhnlich feingeschnittene, ausgiebig lange Nase,
ein fast weibisch-weicher Mund; das Gesicht von schmal-ovaler Form
und bleicher Farbe, die Haare seitlich gescheitelt, leicht gelockt, nach
der damaligen Mode an den Schläfen gebauscht und bis zum Nacken
fallend. Er spielte und lebte nach Goethes Schauspielcrregeln vom
Jahre j808. Wie er auf der Bühne den Hörern, die er keinen Augen-
blick vergaß, nie weniger als dreiviertel seines Gesichts zukehrte, so
stolzierte er gemessen und ausgereckt, etwas steifbeinig, auch auf der
Straße umher, kleidete sich durchweg schwarz und trug dcn steilen
Zylinder auf dem Kopfe. Er wird sich wohl auch nie an einen Spazier-
stock gewöhnt, nie öffentlich geraucht haben — das wäre gegen die
Vorschrift des Weimarer Dichter-Direktors gewesen und gegen dessen
Schüler Pius Alexander Wolff, dem er gleichfalls nacheiferte. Es
scheint auch, cr habe oft gekränkelt. Die Lungen gaben keinen ge°

* Emil Devrient. Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlaß. Ein Gedenk--
buch von vr. Hcinrich Hubert Houbcn. (Frankfurt a. M., Mütten L Löning.),

t. 5epteinberheft 467.
 
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