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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1904)
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Unsre Kunstzustände Ausdruck unsrer Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0583

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muster hat gar keinen Sinn, die Wand ist im Zimmer nicht Selbst-
zweck, sondern neutraler Hintergrund, auf dem Möbel stehen, Bilder
hängen sollen usw. Aber sie hat farbig doch als Grundton des Ganzen
eine maßgebende Bedeutung. Bringt man sie in Uebereinstimmung
mit der Farbe des Fnßbodens oder dem Teppichbelag, so hat man
für das fernere leichtes Spiel; man hat ein harmonisches Gehäuse
sür die Ausstattung, die sich, bei einiger weiteren Aufmerksamkeit in
der Farbenzusammenstellnng, jetzt leicht einfügt. Es wird sich dabei
vorwiegend darum handeln, allen im Zimmer auftretenden Stoff in
derselben Farbe zu wählen, d. h. also Fenstervorhänge, Möbelbezüge,
etwaige kleine Teppiche, Kissen usw. Das ist deshalb nicht schwer,
weil hier bei etwa Nichtpassendem der Färber in der Regel mit Leich-
tigkeit nachhelfen kann. Aber auch sonst sind ja die Ausgaben für
Stoff noch immer weit geringer als für etwa neu zu beschaffende
Möbel.

Was diesen Punkt anbetrifft, so liegen die Verhältnisse
schwierig, solange es sich darum handelt, vorhandenes Material be-
nutzen zu müssen. Namentlich sind die Möbel, die in Deutschland in
deu letzteu fünfzig Jahren hergestcllt sind, eigentlich von einer solchen
Mißbildung, daß es schwer wird, sie in anständiger Umgebung zu
dulden. Jmmerhin kann auch hier noch ein erträglicher Eindruck ge-
schaffen werden, solange nur das Holz und die Farbe einheitlich sind.

Das Problem der Wohnungskultur liegt im übrigen, das braucht
kaum besonders hervorgehoben zu werden, bei der heraufkommenden
Generation, die sich ihr eigenes Mobiliar anzuschaffen in der Lage
ist. Wenn hier eine Gesinnung Platz griffe, die nur das Einfache und
Gediegene wählte, das Protzige vermiede und jeden Anschein des Täu-
schendeu grundsätzlich abwiese, wieviel wäre dann schon gewonnen!
Wir würden ein schlichtes Hausgerät von edlem Anstand und echter
Vornehmheit, und zwar von bürgerlicher Vornehmheit haben, nicht
dcr gewollten talmi-aristokratischen Vornehmheit von heute. Ein Haus-
gerät von jener Unaffektiertheit und Wahrheitsliebe, wie es unsere
Groß- und Urgroßväter hatten. Die geräuschvolle, aufgeblasene Art
uuserer heutigen Wohnungsausfüllung würde verschwinden, das billige
Surrogatornament, das heute alles überzieht, ordinär erscheinen. An
die Stelle des heutigen Aufgemachten, Großspurigen würde sich etwas
wieder einfinden, das uns so nahe liegen sollte und das uns doch
heute so meilenfern gekommen ist: der sachliche Gesichtspunkt.

Hermann tNuthesius.
 
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