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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0656

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zwischcn der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ, oben im
Haus, mit einem Draht, der lief herunter an der Wand beim Brunnen,
damit sie sich gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie je mehr und mehr
zutunlich zu den wackercn F-rauen, der Mutter samt den Töchtern und der
Söhnerin.

Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste
kamcn, der Sohn mit dcn Kncchten und Mägden hinaus in das Heu ge-
fahren war, Frau Betha mit der Aeltestcn im Keller Wein abließ, die
Lau im Bruunen aber Kurzwcil halben dcm Gcschäft zusah, und nun die
F-rauen noch ein wcnig niit ihr plaudertcu, da fing die Wirtiu an: Mögt
Jhr Euch denn einmal in meinem Haus und Hof umsehn? Die Jutta könnte
Euch etwas vou Kleidern gebcu; ihr seid von einer Größe.

Ja, sagte sie, ich wollte lange geru die Wohnungen der Menschen
sehu, was alles sie darin gcwerben, spinnen, weben, ingleichen auch wie
Eure Töchter Hochzeit machen und ihre kleineu Kinder in der Wiege schwenken.

Da lief die Tochter fröhlich mit Eile hinauf, ein rein Leintuch zu
holen, bracht' es, und hals ihr aus dem Kasten steigeu, das tat sie sonder
Müh' und lachendcu Muudes. Flugs schlug ihr die Dirue das Tuch um
dcn Leib und führte sie bei ihrer Hand eine schmale Sticge hinauf iu der
hiutersten Ecke dcs Kellers, da mnn durch eine F-alltüre obeu glcich in der
Töchter Kammer gclangt. Allda ließ sie sich trocken machen und saß auf
cinem Stuhl, indcm ihr Jutta die Fiiße abrieb. Wie dicse ihr nun an die
Sohle kam, fuhr sie zurück und kicherte. War's nicht gclacht? frug sie selber
sogleich. — Was anders? ricf daS Mädchcn und jauchzte: gebenedeyet sei
uns der Tag! ein erstesmal wär' es gcglückt! — Die Wirtin hörte in der
Küche das Gelächter uud die Freude, kam hercin, begierig, wie es zuge-
gangen, doch als sie die Ursach' vernommeu — du armcr Tropf, so dachte
sie, das wird ja schwerlich gelten! — ließ sich iudcs nichts merkcn, und
Jutta uahm etliche Stückc heraus aus dcm Schrank, das Beste, was sie
hatte, die Hausfrcundin zu kleiden. Seht, sagte die Mutter, sie will wohl
aus Euch eine Susann Preisnestel macheu. — Nein, rief die Lau in ihrer
Fröhlichkeit: laß mich die Aschengruttel sein in deinem Märchen! — nahm
einen schlechten runden Faltenrock und eine Jacke; nicht Schuh uoch Strümpfe
litt sie an den Füßen, auch hingen ihre Haare ungezöpft bis auf die
Knöchel nieder. So strich sie durch das Haus vou uuten bis zu oberst,
durch Küche, Stuben und Gcmächcr. Sie verwunderte sich des gemcinsten
Gerätes und seines Gebrauchs, bcsah deu reiu gefegten Schenktisch, uud
darüber in langcn Rcihen die zinnenen Kanncn und Gläser, alle glcich
gestürzt, mit hängendem Deckel, dazu den kupfernen Schwenkkessel samt dcr
Bürste, und mitten in der Stube an der Decke der Weber Zunftgeschmuck,
mit Seidenband und Silbcrdraht geziert, in dcm Kästlcin von Glas. Bon
ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im Spicgel, davor blieb sie betroffeu
und erstockt eine ganzc Weile stehn, und als darauf die Söhucriu sie mit
in ihre Stube nahm und ihr ein ncues Spicgelcin, drei Groschen wert,
verehrte, da meinte sie Wuuders zu haben, deuu unter allcn ihrcu Schähcn
fand sich dergleichen nicht.

Bevor sie aber Abschied nahm, gcschah's, daß sie hintcr dcn Vor-
hang des Alkoveu schaute, wosclbst der jungcn F-rau und ihrcs Mannes
Bett, sowie dcr Kinder Schlafstütte war. Saß da cin Eukclcin mit rot-
gcschlaseneu Backen, hemdig, und eiucn Apfel in der Hand, auf eiucm rundeu

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Aunstwart
 
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