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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 11 (1. Märzheft 1893)
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Rundschau
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0178

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Mehr als in anderen Städten ist aber diese Wurzel
in Berlin ins Treiben gekommen. Ob das mit der Groschen-
kunst und der sich breitmachenden Lehrbuchweisheit unserer
Kunstpharisäer zusammenhängt, die heute hier, morgen da
ihre Nase in einen Modekatechismus hineinstecken, um
hinterher zu behanpten, daß sie den »Rumniel« nun auch
verstehen, oder ob das nur eine Folge unseres bureau-
kratischen Sitzbankhorizontes ist, wage ich nicht zu ent-
scheiden. Thatsache ist aber, daß viele, die da lästern,
wenn sie Nachbar Kunz mit quadrirten Unaussprechlichen
wandeln sehen, es ganz in Ordnung finden, daß das
bischen Natur, das uns in irgend einem vergessenen
Winkel noch anlacht, durch eine Straßenregulirung und
und andere Feldmeßkunststückchen nnn vollends zum Teufel
geht. Sie fordern am Ende noch, wenn sie einmal in
bierseliger Stimmung mit eincr Baumwurzel näher bekannt
geworden sind, daß solche krummen und schiefen Wege-
lagerer wenigstens durch hübsche »regelmäßige« Prellsteine
ersetzt werden. Ja, sie wundern sich noch über die Launen
der Natur, die von der Pankeemaximc, daß der Erdboden
doch eigcntlich nur zum Grundstückausschlachten vorhanden
sei, gar keine Notiz genommen hat und in ihrer blinden
Gebelaune einen Baum hat wachsen lassen, wo später eine
Straße durchgelegt werden soll, oder einen Berg hinge-
schüttet hat, wo unsere Witzlinge ihre Beine gerne in der
Ebene umherschlottern möchten.

Nicht weit von der Stadt des Stuckes und des Korsetts
zog sich vor nicht langer Zeit, als nur erst wenige Miets-
kasernen sich schüchtern zeigten, eine prachtvolle Banmallee
am Rande eines Gehölzes hin, die mit dem ersten Grün
der Nadelbäume und der weiten Flachlandschaft wunderbar
harmonirte. Vielleicht lag der Reiz in der dörslichen Ab-
gelegenheit des Ortes oder in dem Nauschen der sich
schaukelnden, hochstämmigen Birken, die den schlangenlinig
gewnndenen Landweg einsäumten. Das ist jetzt ganz anders
geworden. Der Ort gehört ja auch zu denen, die sich bald
als Teil der Riesenstadt betrachten dürfen. Darum mußte
auch die dörsliche Ungebundenheit durch die starre Protzen-
hastigkeit der Großstadt ersetzt werden. Jetzt zieht sich der
Weg, unbekümmert um die natürlichen Verhältnisse, schnur-
gerade aus; die schönen alten Bäume sind verschwunden,
um jungen Reisern Platz zu machen, die in Reih und Glied
dastehen. Die »Straße« ist eben »regulirt«. Struppige
Birken sind in ihrer plebejischen Natürlichkeit nicht u lu mode;
vielleicht standen sie auch nur dem Geometer im Wege,
der mit seinem Kantel-Jdealismus doch die Straße nicht
wegcn ein paar Bäumen krümmen durfte oder noch weniger
zugeben konnte, daß einige 5 Liu von der geraden Linie
abwichen. Solche Beispiele ließen sich leicht mehren. Die
Prenzlauer- und Schönhauser Allee hat ihren schönsten
Schnmck dem Moloch der Regulirungswut opfern müssen.
Für eine solche Verirrung ist das Wort »Kunstvandalis
mus« ganz am Platze. Mit hämischen Ausfällen wird in
der Regel die Geschmacklosigkeit des vorigen Jahrhunderts,
alte, schöne, mittelalterliche Bauwerke durch zopfige An-
und Einbauten zu verunziren, bedacht, hier haben wir aber
einen Auswuchs des Geschmacks, der wenig besser ist —
doch, Bauer, das ist ganz was anders!

Bekämpsen wir die Schablone aus jedem Gebiete, hier

wuchert sic ungestört fort. Esäist^ja leichtertzUnd^bequemer,
einen Straßen- und Bebauungsplan vom grünen Tisch aus
zu dekretiren, als eincn solchen an Ort und Stelle mit Be-
rücksichtigung der landschaftlichen Verhältnisse zu entwerfen;
das erstere kann ein Beamter, das andere erfordert einen
Künstler -— und Künstler kosten Geld. Wie ganz anders
faßte doch Napoleon der Dritte seine Ausgabe auf, als er
durch seine vielgeschmähten Haußmanniaden das Stadtbild
von Paris umschuf. Er setzte sich dabei wenigstens nicht
über die natürlichen Verhältnisse hinweg; ich will dabei
nur an die Buttes Chaumouts erinneru. Bei uns aber
wird ein neu zu bebaueudes Terrain in schöne gerade Linien
geschnitten, wie man eine Gebnrtstagstorte zerteilt, und was
dann herauskommt, läßt an trostloser Langweiligkeit nichts
zu wünschen übrig. An Karlsruhe und Mannheim haben
wir ja klassische Beispiele für die »Schönheit« gerader
Straßenzüge; im Westen und Süden Berlins entstehen
aber würdige Seitenstücke dazu. Bor nicht langer Zeit
wurde in den Zeitungen angeregt, daß die Stadt Berlin
den Grunewald erwerben möge. Sollten wirklich Schritte
zu der Verwirklichung dieser Jdee gemacht werden, dann
möchte ich doch bei aller Liebe zu meiner Vaterstadt denr
Eigentümer zurufen: »Fiskus, bleibe hart«. Denke ich
daran, wie sehr bald das Bischen Natur, das man da-
sclbst neben Eierschaalen und Stullenpapier noch sehen kann,
durch eiue zweifelhafte »Kunst« genommen werden kann, dann
ist mein Wunsch wohl nicht ohne Berechtigung.

Jch will gleich hinzufügen, daß ich bei meinen Aus-
führungen durchaus nicht gegen breite und gepflasterte
Straßen eifern will, sondern nur wünsche, daß bei solchen
Regulirungen, wie sie die bevorstehende Einverleibung der
Vororte in Groß-Berlin viele bringen wird, mehr künst-
lerische Freiheit herrschen möge. Leider ist die Hofsnung
gering; denn die gerade Linie ist zu bequem für den Ent-
werfenden, zu billig für die Stadtverwaltung und paßt sich
auch zu harmonisch den geradlinigen, steifen Magistrats-
bauten an, als daß man sie an maßgebender Stelle so
leicht ausgeben wird. Wenn der Berliner nur seine breiten
gesunden Straßen hat, dann möge er zufrieden sein und
sich um malerische Ausgestaltung derselben nicht weiter
kümmern. Daß die Kunst gar auf der Straße zu finden
sein soll, ist am Ende ein wenig zu viel verlangt. Oder
nicht?"

Sagte man wenigstens ehrlich: wir wollen nichts
Schönes, dann läg es doch klar, mit was für Kultur-
leuten wir zu rechnen haben. Wir wollen nichts Schönes,
wir sind Banausen, denen zwei Groschen mehr in baar
lieber sind, als zwei Kronen mehr in Schönheit. Aber
auch unsere Stadtväter wollen sich ja bei Leibe als hoch-
gebildete Leute zeigen, denen das Herz im Busen schwillt,
wenn sie was fürs Jdeal thun können. Und Jdeal und
Lineal, daS reimt sich mal. Genau wie in Berlin sieht
es z. B. in Dresden aus, wo man erst jüngst den weiten
Wiesenplan vor dem Großen Garten, eine grüne Augen
weide für jeden, der aus der Stadt kam, durch eine
blöde Fahrstraße zerschnitten hat, — nur, damit etwaige
S p azier kutscheu (denn Wagen, denen es eilt, verkehren
hier gar nicht) eine halbeMinute eher in die Haupt-
allee des Großen Gartens kommen!

Lose Klätter.

* Absen ist wieder einmal abgehorcht worden, diesmal
von einem französischen Jnterviewer, Maurice Bigeon, der
dann die Früchte seiner Mühen im „Figaro" abgelegt

hat. Wie wir aus einem Berichte des „Magazins" cr-
sehen, ist aber jetzt das Ergebnis in der That nicht
uninteressant. Nachdenr Jbsen, heißt es da, die jungen



s)

- 17t —
 
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