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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI article:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0029

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sich bei Bernhart nie ganz entfalten wollen — wir sind da erregtere Töne,
gespanntere, fortreißendere Darstellungen gewöhnt. Ich gebe jene for--
malen Mängel zu, die Verhaltenheit auch, obwohl sie in sich schön und
wirksam und übrigens von einer gewinnenden männlichen Keuschheit ist.
Doch was bedeutet dies! Der Roman einer Iugend, eines geistigen Wer-
dens in einer geistigen und einer weltlichen Welt auf zweihundert Seiten,
ein Erstlingwerk — halten wir uns an das Verheißende, das darin liegt,
nicht an die Hemmungen, deren Spuren ihm wie allem Menschlichen einge-
prägt sind. Ezard Nidden^

Der Roman „Der Kaplan« ist im Musarion-Verlag in München erschienen.
Preis etwa 32 Mk.

Die ächzende Kreatur

ottlob, jetzt kommt der Mai ins Land. Meine Rohrstiefel rasten im
I H^Kleiderschrank von den beschwerlichen Filialgängen des Winters.
^-^Sie haben das nasse Element in jeder Form geschluckt, als Regen
und Schnee, als Wiesenjauche und seit kurzem auch als Blumentau. Müde
wie ein überfüllter Zecher sind sie hingetorkelt. Ietzt kommt ein neues,
leichtes Paar an die Reihe, darf weiches Gras und sommerliche Wege
treten. O Nnverdientheit der Schicksale, der guten und der bösen — Stiefel,
wie gleicht ihr den Menschen!

Heute lärmt und quillt niir der lichte Frühling zum offenen Fenster
herein. Die Pfarrschwestern kramen im Gemüsegarten herum, die Buben
balgen sich an der Friedhofmauer, aus der Ferne ruft der Kuckuck un-
aufhörlich und verleidet mir den griechischen Kirchenvater, über dem ich
schon seit dem letzten Herbst mich abquäle. Der Pfarrer übt sich am Fisch-
weiher drunten im Scheibenschießen, und ich kann nicht leugnen, daß der
lenzige Tumult da draußen in der Sonne mich süßer lockt als der gestrenge
Mystiker. Bevor ich aber zum Zimmerstutzen greife, muß ich hier be-
merken, daß es nicht wahr ist, was Fräulein Vevi vorhin im Garten
über mich gesagt hat: daß heuer die eingemachten Iohannisbeeren so
früh zu Ende wären, weil der Herr Kaplan ein Schlecker sei. Zur Strafe
für die Verleumdung will ich im schönen Monat Iuni schon am grünen
Strauch dafür sorgen, daß ich im nächsten Winter nicht zum Schlecker
werde.

Ich habe auf die Schießerei von gestern hin aufgeregt geschlafen. Ls
ist mir eben doch nicht einerlei, ob ich auf eine unschuldige Holzscheibe
schieße oder einen schuldigen Kater. Nnd schuldig war der gelbe Peter
wirklich. Mit vorsätzlicher Mordlust ist er die hohe Stange auf der Nach-
barseite unseres Zaunes hinaufgeklettert, ist in tückischer Stille auf dem
Starenhaus gesessen, um die junge Brut darin und die schreienden Alten,
die vom nächsten Baum her zusahen, maßlos zu ängstigen. Als er mit
der Pfote ins Loch des Häuschens stocherte, war es mit meiner Freundschaft
für Peter vorbei. Ich rüttelte wie der Sturmwind an der Stange, um das
Vieh herabzuwerfen, abcr es behauptete sich festgekrallt auf seinem Raub-
sitz. Da versuchte ich's mit gütlichem Zureden, Peter indessen krallte Pch
jetzt wirklich ein Iunges heraus. Ich legte wütend meine Flinte an, drückte
ab und sah die Katze taumeln; aber in halber Höhe der Stange gewann sie
wieder Halt'. Ich warf mit Steinen, sie fauchte auf mich herab, als wollte
sie mir ins Gesicht springen, und kletterte, als ich mich etwas zurückzog, auf
ihren Sitz zurück. An der Stange rieselte Blut herab. Nun wollte ich
 
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